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Mainz und seine sechste Jahreszeit

MAINZ (13. Juli 2024). „Der Erfolg hat viele Väter“, sagte einst der britische Nationalökonom Richard Cobden (1804-1865); den Misserfolg beschrieb er hingegen als Waisenkind, denn natürlich werden Menschen viel lieber für Gelungenes gelobt. Im Falle des Mainzer Musiksommers dürfen sich in der Tat gleich mehrere auf die Schulter klopfen lassen: Seit nunmehr 25 Jahren existiert das kleine, aber feine Festival, das die Kultur- und Musikszene der Stadt in den warmen Monaten bereichert – und sich dem großen Bruder im Rheingau übrigens nur in puncto Größe geschlagen geben müsste, denn hüben wie drüben treten die großen Namen der Musikszene auf.

In Mainz waren das in den vergangenen 25 Jahren unter anderem die Geigerinnen Gotô Midori und Patricia Kopatschinskaja, die Gambistin Hille Perl mit dem Ensemble Los Otros, das Calmus Ensemble Leipzig, die Sopranistin Emma Kirkby, das Signum Quartett, die Blockflötisten Stefan Temmingh und Maurice Steger, der Pianist Bernd Glemser, das Fauré Quartett, Amarcord und die Lautten Compagney Berlin, das Ensemble Quadro Nuevo, die Sopranistin Nuria Rial, New York Polyphony oder das Trio Imàge. Und und und – die Liste ließe sich noch lange fortsetzen. Volker Müller, einer der „Gründerväter“ des Musiksommers, erinnert sich beispielsweise noch ganz genau an den Auftritt von Tenor Christoph Prégardien in der Seminarkirche, wo er Franz Schuberts „Nacht und Träume“ sang: „Das war eine Offenbarung, genau wie der Auftritt das Hagen Quartetts.“

Dank der guten Vernetzung und der buchstäblichen Ausstrahlung des Kooperationspartners SWR – einige Konzerte werden von SWR Kultur aufgezeichnet und später im Jahr gesendet – machte sich der Musiksommer rasch einen Namen und gilt heute in der Szene als eine der ersten Adressen mit interessierten und treuen Konzertgästen. Agenturen klopfen oft von selbst beim Veranstalter an, viele Künstlerinnen und Künstler kommen gerne immer wieder und freuen sich über das neugierige Publikum, das längst auch von außerhalb zu den Soireen anreist. Der Musiksommer hat viele Väter und – ganz ohne Genderzwang – auch Mütter, die sich seit dem Jahr 1999 darum kümmern, dass sich im Juli und August die nationale wie internationale Klassikszene die Klinken faszinierender Konzerträume in die Hand geben.

Doch zurück zur Wiege: Einer der „Urväter“ des Musiksommers war Volker Müller. Der frühere Leiter des Mainzer Kammerorchesters wurde nach Jahren als Musikschulleiter am Peter-Cornelius-Konservatorium 1990 vom damaligen Kulturdezernenten Anton Maria Keim als Musikreferent ins Rathaus berufen. Aus ersten Sommerkonzerten unter dem Motto „Klassische Musik im klassischen Raum“, die zuvor von der Mainzer Konzertdirektion unter der Leitung des verstorbenen Wolfgang Klinke ins Leben gerufen worden waren, wurde 1991 die Reihe „Mainz+Musik“ mit jährlich zehn Konzerten: in den Kreuzgängen von Dom und St. Stephan, der Johanniskirche, dem Weihergarten, der Seminarkirche oder St. Ignaz. Finanziert wurde alles durch den Ticketverkauf, die auftretenden Künstlerinnen und Künstler stammten noch eher aus Mainz und der Region.

1999 kam ein weiterer „Vater“ ins Spiel: Peter Stieber, heute Präsident des Landesmusikrats, wurde Leiter der SWR2-Musikredaktion Mainz und ließ den Sender als potenten Mitveranstalter ins Boot steigen. „Das war für alle ein Gewinn“, erinnert sich Müller: „Das Publikum war ja schon da. Das Niveau wuchs und das Festival nahm schnell an Fahrt auf.“ Gastgeber blieb weiterhin die Stadt Mainz, die für den Musiksommer einen eigenen kleinen Etat einstellte, der im vergangenen Jahr auf aktuell 20.000 Euro angehoben wurde. Der SWR beteiligt sich mit 16.000 Euro jährlich am Festival und auch das Land hat seinen Beitrag auf 20.000 Euro erhöht, so dass der Musiksommer mit dem Kartenverkauf – fast alle Konzerte sind immer ausverkauft – auf soliden Beinen steht. Ein begeisterter Festival-Fan ist Marianne Grosse: „Es ist eine der schönsten Veranstaltungsreihen, die wir haben“, betont die Kulturdezernentin und nennt die besondere Atmosphäre, den „Bann der Musik und der Räumlichkeiten“ und das hohe Niveau der musizierenden Gäste als Gründe: „Hier erlebt man Musik, wie man sie auf keiner CD hören kann.“

Ebenfalls mit an Bord war lange Jahre Stiebers SWR-Kollege Martin Falk, der die Stabführung 2022 an die Redakteurin Sabine Fallenstein übergab. Er hat übrigens den Namen Mainzer Musiksommer kreiert und gemeinsam mit Stieber und der Agentur Mainz Klassik die Mischung aus Alter Musik, Kammer- und Vokalmusik abgestimmt. Ab 2010 öffnete sich das Festival dann auch neuen Stilen wie Weltmusik und Klezmer – immer eine perfekte Abmischung mit den Räumlichkeiten im Blick. Falk erinnert sich ebenfalls an großartige Gäste wie den Geiger Daniel Hope, den Pianisten Fazil Say, das Vision String Quartet, Singer Pur oder das David Orlowsky Trio, das sein letztes offizielles Konzert im Kreuzgang von St. Stephan gab.

Fallenstein konzipiert heute die Musiksommer-Programme zusammen mit der Konzertagentur Mainz Klassik von Alexandra Hodapp und Michael Heintz, die von Volker Müller 2006 vor seinem Eintritt in den Ruhestand für die eigenständige Ausrichtung des Festivals gewonnen werden konnten; auch die Mainzer Meisterkonzerte finden unter ihrer Regie statt. Ganzjährig werden Künstler angefragt oder melden selbst Interesse an, Termine werden koordiniert, Programme abgesprochen – eben das komplette Management der Konzertreihen inklusive Marketing- und Pressearbeit, Abo-Ticketing, Vertrieb und Finanzen. Für die Organisation der Konzerte vor Ort, insbesondere des Musiksommers, werden die Kirchen und Säle für Termine angefragt, Programme und Plakate gedruckt, der Ticketverkauf läuft an.

An den Konzertabenden selbst kümmern sich Hodapp und Heintz vor Ort darum, dass alles funktioniert, empfangen und betreuen die Künstlerinnen und Künstler, organisieren den Weinverkauf in der Pause und die Verwandlung der Kirchen in stimmungsvolle Konzertstätten. Gefragt nach außerordentlichen Konzerterlebnissen möchte das weitere „Elternpaar des Musiksommers“ gar keines herauspicken: „Alle sind einzigartig!“ Auch die beiden sind fasziniert von diesem einmaligen Dreiklang aus wunderschönen Kirchen und Sälen, herausragenden Solistinnen und Solisten sowie Ensembles und inspirierenden Programmen.

Als die – mittlerweile zum Glück gesicherte – Finanzierung des Festivals vor ein paar Jahren gefährdet schien, kam mit der Landesstiftung Villa Musica noch eine „Mutter“ dazu: Seit 2015 ist auch sie Partnerin und steuert hochkarätige Konzerte zuweilen mit jungen Solistinnen und Solisten aus ihrem Stipendiatenkreis bei. Dazu gehörte zum Beispiel 2020 und 2022 der ukrainische Geiger Dmytro Udovychenko, der gerade erst mit dem Concours Reine Elisabeth den wichtigsten Violin-Wettbewerb Europas gewonnen hat. „In diesem Sinne zeigen wir im Musiksommer die Klassikstars von morgen“, erklärt Karl Böhmer von Villa Musica. Auch Kinderkonzerte hat man hier für den Musiksommer kreiert.

„Wir wollten im Sommerspielplan der Landeshauptstadt unnötige Konkurrenz vermeiden und stattdessen eine Synergie erzeugen, unsere Kammermusik-Kompetenz und die Veranstalter-Kompetenz von Mainz Klassik bündeln.“ Die Landesstiftung habe das besondere Vergnügen, in den fantastischen historischen Räumen zu musizieren, die der Musiksommer bespiele: „Und das oft für ein Publikum, das uns noch nicht kennt.“ Auch selbst lernte man hier neue und spannende Lokalitäten wie die sonst für die Öffentlichkeit nicht zugängliche Aula der Seminarkirche kennen. Das Festival hingegen bekommt die Villa-Musica-Konzerte frei Haus, ohne für Künstlerhonorare aufkommen zu müssen. „Die Kombination mit Villa Musica hat nochmal neue Energie und Schwung gebracht, talentierte junge Menschen auf der Bühne, noch mehr Leben“, freut sich auch Dezernentin Grosse über die Kooperation.

Besonders gefragt waren die Organisatoren zur Zeit der Pandemie: Während das Rheingau Musik Festival 2020 erstmal komplett pausierte, gab es in Mainz den unbedingten Willen, sowohl den Musiksommer als auch die Meisterkonzerte stattfinden zu lassen. Die Veranstaltungen wurden sämtlich im Schloss gegeben: mit verkürztem Programm und mit Wiederholung am Konzerttag, damit möglichst viele (mit Maske und gebührendem Abstand) zuhören konnten. Wer eines dieser Konzerte erlebte, war nur kurz ob der Umstände irritiert und spürte neben dem musikalischen Genuss vor allem eins: Dankbarkeit, diese besonderen Augenblicke erleben zu dürfen. Damals stand Mainz Klassik in dauerndem Kontakt mit dem heutigen Kulturstaatssekretär Jürgen Hardeck, der die Agentur über das Machbare auf dem Laufenden hielt.

Ein anderer „Schock“ ist noch nicht so lange her: Kurz vor Präsentation des 2024er-Programms erfuhren Hodapp und Heintz, dass St. Antonius wegen Renovierungsarbeiten in diesem Jahr doch nicht als Konzertort zur Verfügung steht. Die Drähte glühten und mit der Seminarkirche wurde eine gute Alternative gefunden. Zum Glück war die große Auflage des Konzertprospekts noch nicht gedruckt.

Die Stadt Mainz bietet neben dem Musiksommer seit 1984 noch eine weitere Musikreihe an, die in diesem Jahr ebenfalls ein rundes Bestehen feiert: die traditionell in der Rheingoldhalle stattfindenden Mainzer Meisterkonzerte. Während der Musiksommer kleinere Ensembles mit breiter Stilistik anbietet, stellen die Meisterkonzerte die große Sinfonik in den Mittelpunkt. Nach dem eröffnenden Jubiläumskonzert am 16. September folgen zwischen Oktober und Juni weitere sieben Konzerte.

Dann begrüßt die Reihe die Pianisten Anna Vinnitskaya und Joseph Moog, die Blockflötistin Lucie Horsch, den Geiger Julian Rachlin und den Cellisten Johannes Moser, das SWR Symphonieorchester, das Staatsorchester Rheinische Philharmonie, die Deutsche Radio Philharmonie des SR und SWR sowie die Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz. In der Jubiläumssaison finden auch zwei Konzerte mit sinfonischer Chormusik statt, wozu sich das Publikum auf das SWR Vokalensemble und den WDR Rundfunkchor Köln sowie den Philharmonischen Chor Brno freuen kann.

Wer frühzeitig über den Mainzer Musiksommer und die Mainzer Meisterkonzerte informiert sein möchte, kann sich unter https://www.mainz-klassik.de für einen Newsletter anmelden: Dann erhält man die jeweiligen Saisonbroschüren kostenfrei per Post zugeschickt und wird per Mail über den Vorverkaufsstart informiert.

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