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Klingende Tradition

„Nimmt das denn kein Ende?“, fragt man sich im bis auf den letzten Stehplatz gefüllten Dom und meint den Auftritt des Mädchenchors am Dom und St. Quintin: Eine Reihe nach der anderen betritt den Chorraum – am Ende dirigiert Domkantor Michael Kaltenbach weit über hundert junge Damen. Auch der Domchor wird später in beachtlicher Mannstärke auftreten. Das Traditionskonzert am vierten Advent ist ein Geschenk an die Mainzer. Dafür braucht nicht plakatiert zu werden, ist es doch immer bereits im Sommer ausverkauft.

Ein Geschenk ist auch, dass Domkapellmeister Karsten Storck und sein Kollege Kaltenbach so viele Kinder und Jugendliche für das Singen begeistern können. Und dass dieses Musizieren am Dom auf wirklich beachtlichem Niveau geschieht. Ebenfalls nicht selbstverständlich ist sicherlich, dass die Sängerinnen und Sänger am Tag vor Heiligabend so aufmerksam dabei sind – und dass ihre Familien hier mitziehen.

An diesem Abend versammeln sich viele Komponisten um die Weihnachtsbäume rechts und links des Hochaltars: Die Mädchen singen mit Harfenbegleitung Psalmvertonungen von Franz Schubert und Franz Paul Lachner, ob ihrer Schlichtheit besonders berührende Musik. Eine Auswahl von Benjamin Brittens „A Ceremony of Carols“ gefällt gerade in so großer Besetzung und Adolphe Adams „O Holy Night“ (mit Orgel intoniert) rundet den ersten Programmteil stimmungsvoll ab. Mädchen- und Domchor überzeugen mit gleich intensiver Spannkraft, Intonation und guter Aussprache – man staunt, wie sehr sich diese Ensembles in den vergangenen Jahren entwickelt haben.

Als orchestrale Überleitung zum Hauptwerk, der Cäcilienmesse von Charles Gounod, wählte Karsten Storck die Weihnachtsouvertüre von Otto Nicolai und nutzt somit die ausladende Besetzung, die ihm an diesem Abend mit den Musikern des von Domkantor Daniel Beckmann begleiteten Domorchesters zur Verfügung steht. Mag man hier die Grenze dessen, was einem die schwierige Akustik dieses Ortes erlaubt, touchieren – es klingt doch großartig. Wie die Cäcilienmesse, die für eine weitere CD-Produktion für das Leipziger Chorlabel Rondeau live aufgenommen wurde: Innige Momente und Baden im weiten Klang, das Spiel mit der Dynamik und den trotz größter Besetzung bemerkenswert transparenten Klangkörpern versprechen eine spannende Einspielung.

Das Publikum erlebt auch ein harmonisches Solistenterzett: Sopranistin Sabine Goetz (die bei Lachner von Jutta Hörl gefällig begleitet wurde) bezaubert, auch im bekannten „Ave Maria“, das Gounod auf das erste Präludium in C-Dur aus Bachs „Wohltemperierten Klavier“ geschrieben hat; nicht zufällig erklingt es zwischen dem Gloria und dem Credo, stellt die katholische Liturgie am vierten Advent doch die Gottesmutter in den Mittelpunkt. Gerne lauscht man dem voll tönenden Bass von Felix Rathgeber und ist überrascht von der Leistung des Tenors Christian Rathgeber, den das Mainzer Publikum bislang eher im barocken Fach erleben durfte – mag er dort wirklich zuhause sein, kann er doch auch in der Romantik getrost einen „Zweitwohnsitz“ anmelden.

Der Applaus am Schluss des Domkonzerts belohnt die großen und kleinen Künstlerinnen und Künstler des Abends für ein äußerst stimmiges wie stimmungsvolles Konzert. Und während draußen die letzten Flaneure einen allerletzten Glühwein auf dem bereits im Abbau begriffenen Weihnachtsmarkt bestellen, ertönt im Dom stimmgewaltig „Adeste fideles“ – Weihnachten ohne Dommusik ist für viele Mainzer eben kein Weihnachten.

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