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Zu Beginn ein großes Fragezeichen

MAINZ (30. Oktober 2016). Natürlich steht ein Flügel auf der Bühne der Rheingoldhalle denn das Programm des zweiten Mainzer Meisterkonzerts der Saison verspricht das dritte Klavierkonzert Ludwig van Beethovens. Gespielt wird es von Frank Dupree, der an diesem Abend auch als Dirigent der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz fungiert. Doch bevor der Pianist in die Tasten greifen darf, erklingt zeitgenössische Musik: „Nahe Ferne – Momente zu Beethovens ‚Klavierstück B-Dur‘ WoO 60“ von Aribert Reimann. Und schon ist das Versprechen, das das Motto des Abends mit „Beethoven pur“ gab, gebrochen.

Der im März dieses Jahres 80 Jahre alt gewordene Komponist hat sich für sein Stück von jener Bagatelle, die im Werkeverzeichnis ohne eigene Ordnungsnummer (WoO) in unmittelbarer Nähe zum fraglos bekannteren „Für Elise“ steht, inspirieren lassen. „Nahe Ferne“ dauert eine gute Viertelstunde und gliedert sich in neun Teile, in denen Beethoven immer wieder aufblitzt – sagt Reimann, der an diesem Abend auch im Publikum sitzt.

Es sind schon arg verkopfte Klänge, mit denen man hier konfrontiert wird und die das Herz nicht erreichen, sondern als atonale Fremdkörper im Raum stehen. Aufgrund der objektiven Beliebigkeit solcher Musik, die den normalen Hörer ratlos zurück lässt, muss sich der Solist des Abends durchaus die Frage gefallen lassen, warum er die gerade mal etwas mehr als eine Minute lange Bagatelle zuvor nicht anspielte, um dem Publikum wenigstens ein paar Orientierungspunkte zu geben. Stattdessen lässt er sie nach seinem über dreißigminütigen Beethoven-Klavierkonzert dann als Zugabe erklingen und meint noch, dass man ja vielleicht etwas zuvor bei Reimann Gehörtes wiedererkenne – sehr lustig.

Fraglos besser klingt Beethoven im Original, endlich „pur“: Opus 37, das Frank Dupree mit der Staatsphilharmonie musiziert, gerät durch seine Doppelfunktion als Pianist und Dirigent besonders innig – 2012 wurde der Künstler in der Kategorie „Dirigieren vom Klavier aus“ für seine Interpretation ebendieses Werk mit dem ersten Preis sowie dem Publikumspreis beim Internationalen Hans-von-Bülow-Preis in Meiningen ausgezeichnet. Ebenso tönt es an diesem Abend: Duprees Soli sind virtuos, impulsiv und einfühlsam gleichermaßen, atmen manchmal etwas Verträumt-Sonatenhaftes und erinnern im Largo des zweiten Satzes an eine Nocturne, wenn sich hauchdünnes Pianissimo fast schon aufzulösen scheint.

Mit gleicher Intensität besticht dann auch Beethovens siebte Sinfonie A-Dur op. 92. Hier begeistert vor allem das würdevoll einherschreitende Allegretto des zweiten Satzes, in dem Dupree die Staatsphilharmonie ein langgezogenes und unglaublich spannungsgeladenes Crescendo spielen lässt, das im Geist noch nachhallt, wenn sich der Klangkörper schon wieder ins Diminuendo zurückgezogen hat. Eine derart eindringliche Präsenz verleiht klassischer Musik das Leben, das sie heute braucht.

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