Der Zuhörer als Entdecker
MAINZ (8. September 2018). Aufgepasst: Die Meisterkonzerte ziehen um! Aufgrund der Sanierungsarbeiten in der Rheingoldhalle finden die musikalischen Soireen bis Oktober 2019 im Kurfürstlichen Schloss statt. Und so umwehte den Saisonauftakt ein wenig Abschiedsstimmung, die jedoch von den Künstlern des Abends mühelos überspielt wurde.
Zu Gast waren die Rheinische Philharmonie unter der Leitung ihres Chefdirigenten Garry Walker und die Violinistin Clara-Jumi Kang. Das Programm „Best of Scotland“ bot unter anderem die a-moll-Sinfonie von Felix Mendelssohn Bartholdy und den „Marche écossaise sur un théme populaire“ von Claude Debussy. Bereits am Beginn stand mit den vier schottischen Tänzen op. 59 von Malcom Arnold Musik, mit der das Orchester seine ganze Spielfreude in die Waagschale legte.
Und wie in den anderen Werken des Abends überzeugte: Der erste Satz erinnert an schmissige Filmmusik, der dritte atmet eine unglaubliche Weite. Harfe, Streicher und Hörner spielen wunderbar transparent. Zuvor hat sich Dirigent Walker, selbst gebürtiger Schotte, an sein Publikum gewandt und „Besserung gelobt“, denn im zweiten Satz lässt Arnold das Fagott wie einen Trunkenbold tonal durch die Partitur torkeln – so stilsicher „falsch“ zu spielen ist eine großartige Leistung. Ein herrlicher Spaß, den sich der Komponist hier erlaubt hat und der an diesem Abend grandios dargeboten wird.
Apropos: Wer heute 31 Jahre alt ist und ein Studium absolviert hat, wird selbst mit einem Bachelor-Abschluss noch nicht allzu lange in seinem gewählten Beruf arbeiten. Umso mehr verblüfft die Biografie der Solistin: Die 1987 in Mannheim geborene Kang begann als Dreijährige mit dem Geigenspiel und war schon ein Jahr später die jüngste Studentin von Valery Gradov an der Musikhochschule Mannheim. Mit fünf debütierte sie bei den Hamburger Symphonikern und wechselte mit sieben an die Juilliard School in New York.
Genauso faszinierend wie ihr Lebenslauf, den auch zahlreiche Erfolge bei internationalen Musikwettbewerben zieren, ist auch das solistische Spiel von Clara-Jumi Kang, in dem sie sich total mit dem Klangkörper solidarisiert. Statt mit vordergründigem Virtuosentum zu glänzen, geht die Künstlerin ihre Partie mit einer gewinnenden Demut an, sieht das Solo ganz offenbar in der Musik dienender Funktion. Das ist nicht nur grundsympathisch, sondern klingt auch ganz zauberhaft.
In der Schottischen Fantasie Es-Dur op. 46 von Max Bruch schenkt Kang ihrem Publikum sphärisch schwebende Klänge von beseelender Zartheit. Wie Raureif liegt der Klang auf dem Spiel des Tutti. Damit läuft die Musikerin zuweilen zwar Gefahr, vor dynamisch stärkeren Orchesterpassagen geradezu unsichtbar zu werden, doch zwingt sie den Zuhörer mit sanftem Druck zu geschärfter Aufmerksamkeit. Der entdeckt dann gleichsam ein melodiöses und kantables Spiel, das seinesgleichen sucht.