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Schwere Kost und lichtes Spiel

MAINZ (20. Oktober 2014). An interessanten Programmen lassen es die Mainzer Meisterkonzerte eigentlich so gut wie nie fehlen. Und noch seltener kommt das Publikum in der Rheingoldhalle in den Genuss einer (deutschen) Uraufführung zeitgenössischer Musik – dem Liebhaber von Beethoven, Brahms oder Bruckner mag dies durchaus entgegenkommen.

Denn vielleicht war der Grund für die vergleichsweise weniger üppige Besucherzahl der jüngsten Soiree neben dem ungewöhnlichen Termin an einem Montagabend auch im eher speziellen Programm zu suchen? Auf diesem stand nämlich neben „Scheherazade“ op. 35 von Nikolai Rimski-Korsakov und den „Rokoko-Variationen“ op. 33 von Peter Iljitsch Tschaikowski das Werk „Rare Gravity“ für Orchester, das der 1977 geborene Japaner Dai Fujikura 2013 geschrieben hatte – als nationale Erstaufführung.

In einer programmatisch eher traditionell ausgerichteten Konzertreihe solche Musik zu spielen zeugt zumindest von Mut. Und den bewies die Deutsche Radio Philharmonie unter der Leitung von Kazuki Yamada. Die Musik seines Landsmanns beginnt als irisierendes Tonflimmern: Schwebende Streicher- und Bläserklänge reiben sich aneinander, crescendieren. Harmonien haben kaum Bestand, wenn sie denn überhaupt auszumachen sind. Das organisierte Lärmen wandelt sich wie ein Kaleidoskop, schwillt an und ebbt wieder ab. Mal ist die Bodenhaftung vorhanden, mal hebt der Klang ab.

Der Titel „Rare Gravity“ lässt natürlich Raum für Interpretation, doch legt Fujikura laut Programmheft Folgendes in die Musik hinein: Das Stück handele von der Vorstellung, wie seine Tochter es erlebt haben könnte, vor der Geburt im Fruchtwasser zu schweben. Aha. Wenn es hier tatsächlich so dissonant zugehen sollte, wäre verständlich, weswegen viele Eltern bereits den schwangeren Bauch laut mit klassischer Musik beschallen. Nein, „Rare Gravity“ ist auf Dauer anstrengend und in seiner atonalen Flächigkeit beliebig. Höflicher Applaus, mehr nicht.

Danach fällt der Blick erneut ins Programmheft, wo über das nun folgende Stück ein Zitat des Komponisten Franz Liszt zu lesen ist: „Ja, das ist endlich wieder Musik!“ Gemeint waren 1879 Tschaikowskis für Viola bearbeiteten Variationen über ein Rokoko-Thema für Violoncello und Orchester A-Dur. Diese erlebte das Mainzer Publikum in einer eigenen Adaption des Solisten dieses Abends, Maxim Rysanov.

Die Bratsche sitzt eigentlich „zwischen den Stühlen“, ihrer kleinen, quirligen Schwester Geige und ihrem größeren, ernsten Bruder Cello. Und genau das nutzte der Künstler für ein vielschichtiges Spiel, ließ die Variationen von leichter, lichter Helligkeit und vitalem Esprit hin zu melancholischer Nachdenklichkeit changieren. Allen Stimmungen gab der Solist ihr eigenes Gesicht und band das Orchester in puncto Klangintensität eng an sich.

War der Applaus nach diesem Stück schon weit herzlicher, goutierte das Auditorium die Darbietung im zweiten Konzertteil schließlich begeistert: Auch wenn Rimski-Korsakov mit seiner „Scheherazade“ keine Programmmusik im Sinn hatte, malte die Deutsche Radio Philharmonie beeindruckend schöne Bilder und erzählte die Musik fesselnd (bezaubernd: Xiangze Cao an der Solovioline).

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