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Zuckerbrot und Peitsche

MAINZ (17. Mai 2015). Auch die Programme der Mainzer Meisterkonzerte haben zuweilen jenen pädagogischen Impetus, der das Publikum durch das „Verpacken“ unbekannter oder zeitgenössischer Musik in einen Werkekanon aus beliebten und geläufigeren Kompositionen sachte dazu „zwingt“, sich neuen Klängen zu öffnen. Das kann funktionieren, wenn es behutsam geschieht – das Konzept „Zuckerbrot und Peitsche“ ist hier indes nicht hilfreich. Und doch schien genau dies über dem Motto des jüngsten Konzerts („Von neuer Größe“) zu stehen.

Selten sehnte man sich so nach Paul Hindemith: Eigentlich sollte er das letzte Meisterkonzert der Saison eröffnen, doch man ersetzte ihn durch eine Auftragskomposition des an diesem Abend musizierenden SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg namens „hukl“. Inspirieren ließ sich der 1969 geborene Tonkünstler Bernhard Gander hierzu von der Comicfigur „Hulk“, deren Namen er bereits für sein Streichquartett „khul“ neu buchstabiert hatte. Das in Mainz musizierte Werk erfuhr seine Uraufführung im Oktober 2012 in Donaueschingen – damals und heute dirigiert von François-Xavier Roth.

Nun, man braucht schon ein sehr großes Vorstellungsvermögen, um aus dieser seltsamen Musik Struktur oder Aussage herauszuhören: Blockweise „erklingt“ kaum Fassbares, kulminiert zu ohrenbetäubendem Lärm, dessen Intensität durch penetrierendes Schlagwerk ins Unerträgliche gesteigert wird. Was will diese Musik, fragt man sich beklommen und sehnt das Ende herbei wie während einer betäubungslosen Wurzelbehandlung beim Zahnarzt. Nach zähen malträtierenden 20 Minuten ist das atonale Klangknäuel endlich vorbei – das war die Peitsche, jetzt bitte etwas Zuckerbrot.

Und das „servierte“ der meisterhafte Pianist Boris Berezovsky, wobei das Publikum in der Rheingoldhalle in den seltenen Genuss eines reinen Solowerks kam: Sergej Rachmaninovs Variationen über ein Thema von Corelli op. 42. Das barocke Original stellte der Solist wunderbar behutsam vor, als würde er es eben erst entdecken. Was dann folgte, war ein Wandeln durch eine imaginäre Ausstellung, in der sich ein Künstler einem Sujet immer wieder aufs Neue annähert. Berezovsky tut dies mal sportlich, mal rustikal, dann wieder äußerst filigran, pittoresk, kraftvoll – in seinem Spiel spiegelt sich der kompositorische Gedanke messerscharf und schillert in den schönsten Klangfarben.

Wunderbar fügt sich Berezovsky auch als primus inter pares in das Spiel des sinfonischen Klangkörpers in der Rhapsodie über ein Thema von Paganini für Klavier und Orchester op. 43. Die Gäste aus Baden-Baden und Freiburg spielen wie in den finalen „Enigma-Variationen“ op. 36 von Edward Elgar dicht geführt, klangschön und mit spannender Innendynamik. Ein Höchstmaß an Transparenz und Wendigkeit gibt den bekannten Werken ein neues Gesicht und in Rachmaninovs „heimlichem fünften Klavierkonzert“ gelingt die schwelgerische Mittelpartie so hinreißend einfühlsam, dass der Klang einen wie eine zärtliche Umarmung umspannt – ein weiterer von so vielen Momenten in der 30. Jubiläumssaison der Mainzer Meisterkonzerte, die einem noch lange im Gedächtnis bleiben werden.

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