Lyrisch und dramatisch
MAINZ (14. Februar 2016). Eine Sinfonie steht fast immer auf dem Programm eines Mainzer Meisterkonzerts. Jetzt hörte das Publikum in der Rheingoldhalle sogar zwei, schließlich ist das „Lied von der Erde“ von Gustav Mahler mit „Eine Symphonie für eine Tenor- und eine Alt- (oder Bariton-) Stimme und Orchester“ überschrieben. Zuvor spielte die Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz unter der Leitung von Karl-Heinz Steffens die siebte Sinfonie Franz Schuberts, die „Unvollendete“.
Als Solisten des Abends begrüßte das Publikum die Mezzosopranistin Alexandra Petersamer, die die Partie für die im Dezember verstorbene Sängerin Stella Doufexis übernommen hatte. Mit Doufexis waren die Staatsphilharmonie und Dirigent Steffens eng verbunden, so dass dieses Meisterkonzert durchaus auch als Moment des Gedenkens erlebt wurde. Die Tenor-Partien bei Mahler sang Peter Sonn.
Mahler schuf hier keinen typischen Liedzyklus. Und doch sind es sechs Lieder, Vertonungen von frei aus dem Altchinesischen übersetzten Gedichten. Trotz des sinfonischen Rahmens vermochten die beiden Solisten die Rheingoldhalle zum Kammermusiksaal zu verwandeln: Die Sprache der Mahler-Lieder ist immens ausdrucksvoll und verbindet die Welt der Spätromantik mit der des Expressionismus. Sonn sang von „güldenem Wein“ mit sprühendem Hedonismus – doch im selben Poem ist auch vom dunklen Tod die Rede. Nicht nur hier entstand eine ergreifende Spannung zwischen „Gräbern“ und dem „süßen Duft des Lebens“.
Auch der warme Mezzosopran Petersamers malte „bläulich wallende Nebel“ auf den fulminanten orchestralen Hintergrund. Beide Stimmen glichen eher warmen Pastellfarben mit zuweilen kraftvollem „Pinselstrich“ – eine gute, eine schöne Idee der Interpreten. Somit entstand die sinfonische Einheit dieser Musik anstelle traditioneller Satztechnik vor allem durch den gemeinsam gefühlten Duktus beider Stimmen und des Orchesters.
Schuberts „Unvollendete“ birgt so manches Rätsel (an diesem Abend vor allem jenes, warum man den Schubert vor dem Mahler spielte): Sie umfasst, daher ihr Beiname, nur zwei Sätze. Es existiert wohl ein Fragment eines dritten: ganze neun Takte; weitere elf fanden sich 1968 im Archiv des Wiener Männergesangvereins. Außerdem wurde D759 erst vier Jahrzehnte nach dem Ableben des Komponisten uraufgeführt.
Das Geheimnishafte dieser Musik umweht schon den Beginn, dieses Raunen in den tiefen Streichern. Herrlich, wie mystisch die Deutsche Staatsphilharmonie das Thema angeht, wie sie die melancholische Lyrik auf das eher rustikale, aber fein hingetupfte zweite Thema in den Celli führt. Die dynamische Steigerung erlebt man hier fast physisch, ist gepackt vom schwebenden Klang und dem Fortissimo-Schlag, der die Generalpause beendet.
Die Ruhe des folgenden Andante im zweiten Satz (mit hier traumhaft schön gestalteten Bläsersoli) steht im Kontrast zum aufwühlenden Allegro des Beginns, was das Orchester mit deliziös-sämigem Klang ausmalt. Auch hier zeigt Dirigent Steffens elegant die immanente Dramatik, doch schließt die Sinfonie entspannter – wortwörtlich ein schöner Ausklang, wenn auch nur zur Pause.