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Musik aus einer anderen Zeit

MAINZ (9. April 2017). Charmant bittet der Veranstalter vor Konzertbeginn, die Mobiltelefone auszuschalten: Man solle sich einfach in die Zeit des Komponisten Carl Heinrich Graun versetzen, wo man noch nicht immer erreichbar war. Eine solche „mentale Zeitreise“ erwies sich auch in anderer Hinsicht als ratsam, denn die 1755 uraufgeführte Passionskantate „Der Tod Jesu“ entzieht sich als Musik zwischen Barock und Klassik den heutigen Hörgewohnheiten doch arg.

Wer das Werk mit einer Bach-Passion vergleicht, wird ohnehin nicht glücklich. Zu groß sind die Unterschiede: Es gibt keinen Evangelisten, keine fest verteilten Rollen und das von Carl Wilhelm Ramler formulierte Libretto orientiert sich zwar an der Handlung, nicht aber am Wortlaut der Bibel. Außerdem steht nicht der Erlösertod Christi im Mittelpunkt, sondern – ganz der seinerzeit vorherrschenden Theologie der Aufklärung folgend – seine Vorbildwirkung als Menschenfreund.

Dirigent Alexander J. Süß entschied sich dafür, die Musik ohne allzu große dynamische Schwankung darzustellen. Vor allem bei den Arien der Solisten – Flurina Stucki und Katharina Sebastian (Sopran), Hubert Schmid (Tenor) und Kai Günther (Bariton) – führte dies jedoch dazu, dass die durchweg (zu) laut vorgetragenen Partien schnell an Kontur einbüßten und sich vor den Orchesterklang schoben, anstatt sich mit ihm zu verbinden. Für die Chorpartien favorisierte Süß über weite Strecken einen äußerst langsamen, eigentlich schon schleppenden Duktus, was einer pointierten Ausdeutung der bildreichen Sprache ebenfalls zuwiderlief.

Zu Grauns „Der Tod Jesu“, das jahrzehntelang am Karfreitag aufgeführt wurde, schrieb ein Zeitgenosse: „Da war gewiss kein Herz, das nicht der heilige Schauer dieses bedeutenden Moments andachtsvoll ergriffen hätte.“ Um diese Musik heute allerdings verständlich und attraktiv darzustellen, bedarf es einer deutlicheren und damit mehr erklärenden Interpretation, als Süß sie jetzt in St. Stephan lieferte: Trotz stehender Ovationen und johlenden Beifalls des Publikums ließ das Konzert letztlich doch zu viele Wünsche offen.

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