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Auf Großvaters Spuren

MAINZ (2. November 2021). Der Name Koopman hat für den Liebhaber barocker Musik einen besonderen Klang. Und seit neuestem auch für den Jazz-Fan. Doch es ist nicht Ton, der hier denselben angibt: Tochter Marieke Koopman hat mit „Chapter one“ ein gelungenes Debüt-Album herausgebracht, ein stilvoll komponiertes Songbook der 1930er- und 1940er-Jahre. Im vielsagenden Gershwin-Song „Someone to watch over me“ ist Ton Koopman übrigens swingend am Cembalo zu hören. Im Interview berichtet die Sängerin über ihren musikalischen Weg:

Frau Koopman, Ihr Vater ist einer der berühmtesten Interpreten barocker Musik. Da wundert es einen doch schon ein wenig, wenn die Tochter keine Bach-Arien singt, sondern sich dem Jazz verschrieben hat. Wie kommt’s?

Aufgewachsen mit Barockmusik war ich erwartungsgemäß auch erst mal Feuer und Flamme für diese Klänge und wollte meinen Eltern auf ihrem Weg folgen, diese Musik zu interpretieren und Werke von Bach, Mozart und alle den anderen großen Meistern singen. Hierfür begann ich ein Gesangsstudium am Konservatorium. Und es war für mich eine riesengroße Überraschung, als ich merkte, dass ich, obwohl ich es liebte, barocke Musik zu hören, diese nicht mir der gleichen Intensität singen mochte. Nach Monaten des Unterrichts verlor ich sogar fast mein Interesse am Singen! Das hat mich sehr verunsichert. Aber im gleichen Alter, ich war 16, begann ich, Jazz zu hören – und auch zu singen. Und da fand ich, was ich eigentlich suchte: Jazz bedeutet für mich die ultimative Freiheit und intensivste Möglichkeit, mein musikalisches Innerstes auszudrücken. Die Kombination dieser fantastischen Klänge mit den Texten, die einem so nahe gehen, geben mir den Raum, tiefste Emotionen voll auszukosten. So beendete ich meinen klassischen Gesangsunterricht und begann, mich komplett auf den Jazz zu fokussieren.

Was fasziniert Sie denn an dieser Musik am meisten?

Ihre Vielfalt! Der Jazz hat ja eine sehr emotionale Geschichte. Seine Musik entstammt dem Leiden, der Unterdrückung und Not, aber eben auch der Liebe, dem Glück und vor allem einer tiefen Verbindung unter den Menschen. All das kann man hören. Und man kann keinen Jazz singen, ohne diese Geschichte zu spüren. Selbst in den Jahren des stilistischen Wandels war es auch immer die Liebe zum Jazz, ja die Musik selbst, die die Menschen verband und half, ihrer Not zu entfliehen. In meinen Augen war der Höhepunkt zwischen den beiden Weltkriegen erreicht: Mit Cole Porter, George Gershwin, Hoagy Carmicheal, Duke Ellington und vielen anderen großartigen Komponisten nahm das Genre wirklich Fahrt auf. Ihre Musik gab dem Menschen das Gefühl, verstanden zu werden, nicht alleine zu sein, sie gab ihnen Freiheit. Und auch nach fast einem Jahrhundert ist diese Musik noch immer so unglaublich stark. Gerade das fasziniert mich am Jazz: diese Kraft, diese Emotion und die Kombination von Worten und unglaublich wundervollen Melodien.

Geht man in Ihrer Familie zwei Generationen zurück, trifft man auf Ihren Großvater, der selbst Jazz-Schlagzeuger war. Kehren Sie damit ein Stück weit zu Ihren familiären Wurzeln zurück?

Sie können sich meine Überraschung vorstellen, als ich herausfand, dass Jazz in meiner Familie bereits früher gespielt wurde. Ich dachte immer, mein Großvater mag keine Musik, auch den Jazz nicht. Und ich fragte mich immer nach dieser Diskrepanz: Ich wachse auf mit Barockmusik, aber liebe den Jazz. Als ich von der künstlerischen Vergangenheit meines Großvaters erfuhr, erklärte das für mich alles. Meine Debüt-CD ist also auch eine Hommage an diesen großartigen Mann: Fréderikus Koopman.

Vergleicht man Barockmusik und Jazz, gibt es in meinen Augen mehr Verbindendes als Trennendes – denke man nur an den großartigen, 2019 leider verstorbenen Jacques Loussier. Verbinden Sie nun zwei Familientraditionen der Koopmans?

Ich stimme Ihnen gerne zu: Jazz und Barock haben viele Gemeinsamkeiten. Zum Beispiel die Improvisation, die ja auch schon im Basso continuo des Barock ein wichtiger Bestandteil der Musik war. Beide Stile verlangen von den Interpreten gleichermaßen viel Musikalität und Kreativität. Spielt man nur Noten, hört es sich flach an. Insofern war es für meine musikalischen Ausdrucksmöglichkeiten und -fähigkeiten ein großer Gewinn, mit der Musik meiner Eltern groß zu werden. Geht es um melodische Entscheidungen, lasse ich mich von beiden Stilen leiten. Der Unterschied liegt natürlich im Rhythmus, bei dem es im Jazz viel größere Freiheiten gibt. Ich denke, meine Art Jazz zu singen, ist eine wunderbare Kombination beider „Erbteile“ – und eine großartige Inspiration.

Welche Musik haben Sie für Ihr Debütalbum ausgesucht und warum ausgerechnet diese?

Als ich das Set zusammenstellte, merkte ich, dass ich so viele Songs liebe und dadurch tatsächlich Schwierigkeiten hatte, mich letztendlich zu entscheiden. Ich fragte meinen Vater und er riet mir, mich mit einer bestimmten Epoche zu beschäftigen und in ihr nach der Musik zu suchen. Also wählte ich die Zeit, in der mein Großvater zum Jazz-Schlagzeuger heranwuchs: die Ära zwischen 1925 und 1945, in der er am meisten gespielt hat. Nach dem Krieg musste er das Schlagzeugspiel aufgeben. Es war also die großartige Ära der Swingmusik, in der ich nun nach Stücken suchen durfte. Dabei konzentrierte ich mich auf Songs mit starken Texten – und gerade aus dieser Zeit stammen einige echte Juwelen. Ich wählte die Songs, die mich am tiefsten berührt haben. Letztendlich erzählt das Set die Geschichte des wahren Lebens.

Ihre Debüt-CD heißt „Chapter one“, also „Erstes Kapitel“. Wo, glauben Sie, geht Ihre musikalische und künstlerische Reise hin?

Tatsächlich habe ich lange über den Titel nachgedacht und ihn mit Bedacht gewählt. Bei der Recherche für das Album fand ich so viel wunderschöne Musik und weiß, dass es hier noch so viel mehr zu entdecken gibt. In und nach vielen Gesprächen mit anderen habe ich lange über meinen Weg nachgedacht, darüber, was ich der Welt mit meiner Musik erzählen wollte. Und da gibt es eben noch so viel zu entdecken! So bin ich bei „Chapter one“ gelandet. Wie in jeder guten Erzählung entwirren die Kapitel den Weg, die Geschichte, die Charaktere. Ich habe meine ersten Schritte auf meinem musikalischen Weg getan, der noch lange nicht zu Ende ist. Und ich freue mich schon auf „Chapter two“!

„Chapter one“ ist beim Label Challenge erschienen (Nr. CR73525).

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