Zum Kehraus Neue Musik
MAINZ (6. Januar 2022). Die Begrüßung des neuen Jahres mit einem Meisterkonzert ist auch gleichzeitig ein Abschied von der Ersatzspielstätte Schloss: Am 13. März kehrt die Reihe endlich wieder in die Reingoldhalle zurück – dann mit der Deutschen Staatsphilharmonie unter der Leitung ihres Chefdirigenten Michael Francis und dem Cellisten Maximilian Hornung als Gast. Und dann gibt es auch wieder „Klassik pur“, denn das Programm des letzten Konzerts im Schloss darf man durchaus als gewagt bezeichnen.
Zwar erklingt auch die dritte Sinfonie op. 97 von Robert Schumann sowie das Concertino für Klarinette und Orchester op. 26 von Carl Maria von Weber mit Sabine Meyer als Solistin, doch steht ein zeitgenössisches Werk im Mittelpunkt: die Ariosi für Sopran, Bassettklarinette und Orchester des 1949 geborenen Manfred Trojahn, Das Werk wurde 2008 erstmals in Deutschland aufgeführt und damals ebenfalls von Meyer interpretiert. Der Komponist wollte seine Musik in Mainz eigentlich mit anhören, doch war er während der Anreise per Bahn auf der Strecke geblieben und entsprechend frustriert nach Hause zurückgekehrt.
Laut Trojahns Einschätzung entsteht Neue Musik „für den Tag“ und wird danach kaum mehr aufgeführt: Seine „Ariosi“ sind weder auf CD erhältlich noch als YouTube-Mitschnitt zu hören. Insofern erlebt das Publikum des Meisterkonzerts besondere musikalische Augenblicke, auch wenn diese Vertonungen von Gedichten Michelangelos zuweilen verstörend wirken und Trojahn sein in einem Interview geäußertes Anliegen Neue Musik verständlich zu machen mit den „Ariosi“ nicht unbedingt umsetzt.
Natürlich ist die Leistung der Deutschen Staatsphilharmonie hervorzuheben, die unter der Leitung des auf Oper spezialisierten Sizilianers Francesco Angelico mit Sabine Meyer und Anja Kaesmacher stilsicher durch die atonalen Untiefen dieser Lyrikvertonungen steuert. Nach der „Canzona a 8 del 9 tono“ von Giovanni Gabrieli, die Blechbläser von beiden Seiten der Galerie intonieren (und damit die Architektur von San Marco in Venedig skizzieren), taucht man attacca ein in die bizarre Klangstruktur Trojahns mit murmelndem Klarinettenquartett, verwirrenden Akkordballungen und Clustern.
In den vertonten Poemen geht es um die Liebe, Kaesmachers empathischer Gesang ist eher ein nachspürendes Rezitieren, Meyers bestechendes Spiel auf der Bassettklarinette gemeinsam mit den Musikern ein Ausmalen und klangliches Deuten. Der zweite Satz beginnt vor einem Streicherklang wattig wie eine Nebelwand, vor der sich Meyers Ton silhouettengleich abzeichnet. Faszinierend wirkt der Gesang Kaesmachers vor einem hauchdünn gewobenen Klangteppich der Streicher.
Ähnlich filigran klingt später auch das Spiel Meyers, als sie im Concertino von Carl Maria von Weber nur von den Bratschen begleitet wird – ein wunderbar retardierender Moment im ansonsten von akrobatischen Läufen geprägten Stück, das die Künstlerin zuweilen wie eine inspirierte Phantasie über dem Tuttiklang gestaltet. Nach Trojahn ist es gut und versöhnlich, dass das Finale mit Schuberts „Rheinischer“ bestritten wird: Angelico dirigiert dabei tatsächlich aus einer Taschenpartitur, seine vitale Lust an der Musik überträgt sich ohne Bruch aufs Orchester. Und das schmeißt sich mit Verve in die Hemiolenseligkeit des Beginns und nimmt den Choral im vierten Satz vergleichsweise flott.