Glutvoller Tango
MAINZ (6. August 2016). Selten dürfte der Mainzer Musiksommer ein Publikum erleben, das die Künstler des Abends derart frenetisch feiert. Doch halt: Es war ja erst im vergangenen Jahr, dass genau dies passierte. Und weil der Bandoneon-Künstler Marcelo Nisinman sein Auditorium 2015 derart mitriss, gab es in diesem Jahr gleich ein wiederum viel beklatschtes „Da capo“. Jetzt gastierte der Künstler mit seinen Partnern Winfried Holzenkamp (Kontrabass) und Alberto Mesirca (Gitarre), der auch schon im vergangenen Jahr mit von der Partie war.
St. Antonius in der Adolf-Kolping-Straße nahe des Bischöflichen Instituts für Kirchenmusik hat eine ausgezeichnete Akustik, die auch für solche Weltmusik wie gemacht scheint – von allen Plätzen aus hört man gleich gut. Diese kleine, aber feine Konzertstätte nutzt der Mainzer Musiksommer in der laufenden Saison noch zwei Mal. Der 1970 geborene Nisinman gestaltete die „Ouvertüre“ hinreißend, ist er doch ein Meister seines Fachs und spielt das Handzuginstrument mit seinem langgezogenen Balg äußerst virtuos.
Der „Hombre Tango“ – zu Deutsch „Tango-Mann“ – aus seiner Feder eröffnete das Konzert: Rasender Rhythmus und dionysische Dissonanz gleich zu Beginn, wodurch sich dem Publikum ein beeindruckendes Klangspektrum auftat. Da ist der Kontrabass mit seiner pulsierenden Grundlinie, dessen Saiten Winfried Holzenkamp durchaus auch mal perkussiv schnalzen lässt und dem melodischen Ton eine kantige Note gibt. Da ist das mal akkordische, mal melodiöse Spiel der Gitarre Alberto Mesircas – und dann das geradezu akrobatische Spiel Nisinmans, dessen Finger nur so über die Knöpfe fliegen.
Neben Kompositionen unter anderem von José Pascual oder Astor Piazzolla stehen die Arrangements und Bearbeitungen des Bandoneonisten im Mittelpunkt. In ihnen spielt der Komponist neugierig mit Metrum und Dynamik, Harmonie und Dissonanz. Es ist keine Musik, die man mal rasch „nebenbei“ hört, keine südamerikanisch-folkloristische Hintergrundbeschallung: So wie sich Nisinman in seine Musik versenkt, darf sich auch der Zuhörer mit dem Gehörten beschäftigen. Es sind Klangkunstwerke, deren kompositorisches Konstrukt sich seinen Weg bewusst abseits des Mainstreams sucht und findet.
In „Alberto‘s Tango“ für Gitarre solo, das an diesem Abend seine deutsche Erstaufführung erlebt, hat sich der Argentinier unter anderem von barocken Klängen inspirieren lassen, was die Bandbreite der Einflüsse auf die Tangomusik dokumentiert. Mesirca spielt hier (wie zuvor auch in Jorge Morels „Romance Criollo“) samtige Läufe, die die Seele berühren und zum Träumen anregen – erst der verdiente Schlussapplaus holt den Hörer zurück. Und im Stück „Contrabajeando“ von Piazzolla und Anibal Troilo für Kontrabass solo beeindruckt Holzenkamp mit einem sonoren Ton, der in den hohen Lagen das wohlig vokale Timbre des Cello hat und in den tiefen eine Palette dunkler Klangfarben aufträgt. Obgleich notiert atmet die Musik stets kurzweilig den eigenwilligen Geist der Improvisation und zwei Stunden Konzert sind im Nu zu Ende.