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Nicht sauber, sondern rein

MAINZ (5. August 2017). Eigentlich ist es unnötig, die Herkunft des Ensembles amarcord eigens zu betonen, denn es hat sich an der Weltspitze der a cappella musizierenden Männerensembles einen Ruf ersungen, der schwerlich zu toppen ist.

Dennoch sei erwähnt, dass es sich bei den Mitgliedern um „Gewächse“ des ebenfalls weltberühmten Leipziger Thomanerchors handelt – und dass hier wie auch andernorts (zum Beispiel im Mainzer Domchor) hervorragende Arbeit geleistet wird, die durchaus auch derart herausragende, musikalische Karrieren als Solist oder Ensemble befeuern kann.

amarcord war jetzt zu Gast im Mainzer Musiksommer und sang in der wunderbaren Akustik der Seminarkirche ein apartes Programm aus geistlicher und weltlicher Vokalmusik. Ihre Heimatstadt war Dreh- und Angelpunkt des Abends: Man stöberte im Notenschrank des Thomanerchors, sang Werke vom Mittelalter bis zur Renaissance und lud nach einem Spaziergang durch das romantische Leipzig zu einer Weltreise in die Folkmusik ein.

Doch egal, ob Schütz, Schumann oder „Waltzing Matilda“ – stets war klar, dass man hier Musiker erleben darf, die ihre Kunst auf einem Niveau pflegen, das schwer erreichbar ist. Eigentlich hatte man den Abend über das Gefühl zu träumen, denn so perfekt aufeinander bezogen, so durchhörbar und ausgewogen ist ein Liveauftritt selten.

Das Gütesiegel von amarcord ist auch, dass sie nie den Eindruck vermitteln, als sei jene hohe Gesangskunst die Arbeit, die sie zweifelsohne ist: Der Klang besitzt eine unangestrengte Leichtigkeit, eine Gelassenheit und authentische Selbstverständlichkeit, dass man durchaus für den Bruchteil einer Sekunde zweifeln darf, ob das hier Gehörte tatsächlich Geburt des musikalischen Augenblicks ist. Die technische Vollkommenheit einer Studioproduktion paart amarcord mühelos mit der ergreifenden Tiefe eines Konzerts und schenkt dem Hörer damit das Gefühl, ganz besondere Momente erleben zu dürfen.

Schon der Beginn mit der schlichten Sequentia de S. Thoma „Gaude felix India“, mit dem amarcord gemessenen Schrittes einzieht, elektrisiert: Die passgenauen Intervalle, die die beiden phänomenalen Eckstimmen von Wolfram Lattke (Tenor) und Holger Krause (Bass) über dem von Robert Pohlers (Tenor), Frank Ozimek (Bariton) und Daniel Knauft (Bass) eindringlich intonierten Grundton singen, sind nicht sauber, sondern rein und durchaus imstande, den Hörer seiner Wirklichkeit zu entheben.

Das bereits hier dokumentierte Korrespondieren der einzelnen Register zieht sich durch das ganze Konzert: mit butterweichem Piano im schlichten Choralsatz eines Sethus Calvisius (1556-1615), herrlich operettenhaftem Goût in der „Liebeserklärung eines Schneidergesellen“ von Heinrich August Marschner (1795-1861) oder dem satten Ton des „Türkischen Schenkenlieds“ Mendelssohn Bartholdys auf Verse Goethes. Es bleibt einem schlicht nichts anderes übrig, als sich in diesen Klängen zu verlieren.

SWR2 sendet am 30. Dezember ab 21 Uhr einen Konzertmitschnitt.

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