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Destillierter Klang

MAINZ (3. September 2021). Wer eine Karte für das Finalkonzert des diesjährigen Mainzer Musiksommers hatte, dürfte besonders gespannt auf das gewesen sein, was auf dem Programm stand: Anton Bruckners siebte Sinfonie – allerdings in einer Fassung für Kammerorchester. Normalerweise ist das Werk breit besetzt, unter anderem mit je drei Posaunen und Trompeten, vier Wagner-Tuben und einer Kontrabasstuba. Im Kurfürstlichen Schloss trat indes eine auf zehn Musizierende reduzierte Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz auf, geführt von Michael Francis, der seit zwei Jahren dem Orchester als Chefdirigent vorsteht.

Eine corona-konforme Besetzung, mag man meinen; doch ist diese Bearbeitung bereits hundert Jahre alt: 1921 machten sich die jungen Kompositionsschüler Arnold Schönbergs Hanns Eisler, Karl Rankl und Erwin Stein daran, Bruckners siebte Sinfonie zu komprimieren, um sie auch in kleineren Sälen und Formationen musizierbar zu machen und vor allem das Original klanglich gleichsam zu destillieren. Wie sich das anhört, war nun mit zwei Geigen, je einer Bratsche, Cello, Bass, Klarinette und Horn, Konzertflügel, Harmonium sowie drei Pauken zu erleben. Und es war eine besondere Klangerfahrung, was zuvorderst auch dem einfühlsamen Spiel der beteiligten Künstler zu verdanken war.

Staunt man bei Bruckners Original schon über das Pianissimo zu Beginn, klingt es hier fast gläsern fein. Überhaupt zeichnet sich die Interpretation des mit geschmeidigen Gesten und zurückhaltenden, doch präsenten Akzenten dirigierenden Michael Francis durch eine unglaubliche Transparenz aus. Die Streicher verbreiten mit ihrem vollen, vibrierenden Ton eine knisternde Wärme und verleihen der „Sinfonie im Taschenformat“, wie sie der Dirigent nannte, eine permanente Grundspannung.

Freilich „fehlen“ die Bläser. Doch Flügel und Harmonium färben die Sinfonie klanglich neu ein und vermögen dank ihrer Polyphonie mit Unterstützung der Kesselpauken ein Fortissimo zu erschaffen, das dem vollen Originalklang in seiner Wirkung in kaum etwas nachsteht. Im Gegenteil: Auch hier beeindruckt die Durchhörbarkeit. Außerdem stülpt vor allem der Flügelton der Sinfonie zuweilen den Mantel des Klavierkonzerts über, auch wenn es keine ausgewiesenen Solopartien gibt. Da ohnehin sämtliche Musizierenden als Solisten auftreten, changiert der Charakter des Werks ständig zwischen satter Sinfonie und zartem kammermusikalischem Gout.

Geschmackvoll lässt Francis Davis die Dialoge ausspielen, wobei die Beteiligten in einen anregenden Wettstreit zu treten scheinen, wer den kantabelsten Ton anzuschlagen vermag: Alle gewinnen, das Cello vielleicht ein wenig mehr. Das Harmonium klingt ein wenig divergent, doch durchaus apart, ja verleiht der Sinfonie sogar eine leicht sakrale Note. Und immer wieder tropft das Klavier mit gleichsam schimmernden Perlen in die klanglich dichte Atmosphäre der Streicher und Bläser.

Nun mag man vielleicht die „große“ Sinfonie einer vergleichsweise kleinen Besetzung vorziehen, doch dokumentierte die Dramaturgie des Mainzer Musiksommers auch mit diesem letzten Konzert der Saison, wie trefflich man das selbst gesteckte Ziel einmal mehr erreicht hat: das Publikum nicht nur mit meisterhaft musizierten, sondern vor allem auch spannenden Konzertprogrammen zu verwöhnen – im nächsten Jahr dann hoffentlich wieder ohne Corona.

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