» Musik

Meister des Madrigals

MAINZ (2. August 2022). Das Konzert von La Venexiana im Rahmen des Mainzer Musiksommers lässt sich fast in Worten der vertonten Texte rekapitulieren: Es ist ein „dolcissimi respiri“ (süßes Atemholen), jede Stimme ist „di dolcezza, e di diletto“ (voller Süßigkeit und Anmut), man hört die besungenen „celesti facelle“ (himmlische Fackeln) und das letzte Wort im Programm ist „ventura“: Glück. Tatsächlich schenken einem die Sängerinnen und Sänger gemeinsam mit Lorenzo Feder am Cembalo und Ensembleleiter Gabriele Palomba an der Theorbe Momente vokaler Glückseligkeit. Geboten werden Werke aus dem ersten Madrigalbuch von Barbara Strozzi, dem fünften Carlo Gesualdos sowie aus den Büchern 4 bis 8 von Claudio Monteverdi.

Man hört gesunde, natürliche Stimmen, die sich in jedem Moment hinter das gesungene Werk stellen. Da wird nichts übertrieben oder forciert und ein Vibrato ist eher zu spüren als hörbar: Der Gesang fließt in einer Geradlinigkeit, dass es fast schon überirdisch wirkt. Die Besetzungen wechseln, so dass einzelne Stimmen für einen Moment in den Vordergrund treten: Man goutiert den soliden Bass Matteo Bellottos, staunt vor allem in Monteverdis „Misero Alceo“ über die Registerbreite von Roberto Rilievis Tenor, genießt den blutvollen Alt Isabella Di Pietros und folgt fasziniert den sich mühelos in die Höhe schwingenden Sopranstimmen von Emanuela Galli und Carlotta Colombo. Als diese in Strozzis „Mercè di voi“ geradezu miteinander verschmelzen, hört man nur noch eine einzige Stimme.

La Venexiana beherrscht das kraftstrotzende Forte wie das haarfeine Pianissimo. Hier wird das Madrigal Ereignis: wenn das Ensemble unisono beginnt und sich die Stimmen dann wie Girlanden umeinanderwinden, in Dissonanzen reiben und vor allem bei Gesualdo immer wieder in bizarren Wendungen modulieren. Er und Monteverdi waren damals für ihre neue Musik berühmt-berüchtigt und ein klingendes Beispiel, wie wichtig es ist, Althergebrachtes zumindest zu hinterfragen. Auch Strozzi ging neue Wege und bahnte Mitte des 17. Jahrhunderts dem Genre der Kammerkantate den Weg.

La Venexiana lebt das Gesungene und eigentlich müsste man nur kurz umrissen bekommen, um was es in den einzelnen Madrigalen geht: Alles Weitere würde sich allein durch die eindringliche Darbietung erschließen. Doch das Publikum hat ein ausführliches Textheft zur Hand, für das Karl Böhmer, Dramaturg des Musiksommer-Partners Villa Musica, die italienischen Poeme filigran übersetzt hat. Die Zusammenarbeit mit der Landesstiftung ist also auch hier äußerst gewinnbringend.

Am Ende wünscht man sich eine Zeitmaschine, um sich immer wieder an den Beginn dieses Konzerts zurückkatapultieren und so den Auftritt dieser grandiosen Künstler erneut erleben zu dürfen. Dann könnte man sich mal nur auf jeweils eine Stimme konzentrieren und ihren vielfältigen Verzweigungen nachspüren – es wäre ebenfalls ein Erlebnis. Eine solche „Zeitreise“ ist immerhin einmal möglich: SWR2 hat dieses außergewöhnliche Konzert in der Seminarkirche mitgeschnitten und wird es am 8. November im SWR-Mittagskonzert ab 13.05 Uhr senden.

zurück