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Vom Pferd erzählt

MAINZ (10. August 2023). Wenn man heute Menschen gleich welchen Alters auf ihr Smartphone starrend durch die Gegend tappen sieht, hat man begründete Angst, dass sie gegen den nächsten Laternenpfahl laufen, und vermutet, dass sich der exzessive Gebrauch dieses Mediums nicht unbedingt positiv auf ihre kognitiven Fähigkeiten auswirken könnte. Dabei sah man im 18. und 19. Jahrhundert genau diese Gefahren im Lesen von Büchern, weswegen man es gerade Kindern aus Angst vor Schlafmangel verbot. Zudem galt Lesewut als ernste Charakterschwäche und Anzeichen für den sittlichen Verfall.

Dem Landadligen Alonso Quijano, so heißt Don Quichote im Roman von Miguel de Cervantes Saavedra (1547-1616) mit bürgerlichem Namen, schadete der übermäßige Konsum von Literatur der Gattung Ritterroman ebenfalls: Er verlor darüber den Verstand, bildete sich ein, selbst ein solcher Edelmann zu sein und ritt fortan auf Pferd Rosinante mit Knecht Sancho Panza im Gefolge durch die spanische Provinz, um für das imaginäre Edelfräulein Dulcinea von Toboso so manche Aventüre zu bestehen.

Im Mainzer Musiksommer war diese Mär nun zu hören – allerdings aus der Sicht einer Mähre: Rosinante war der Gewährsgaul, dem die Schauspielerin Mechthild Großmann ihre markante Stimme lieh. Man kennt die Mimin seit Jahren vor allem als grimmige Staatsanwältin aus den humorigen Münsteraner Tatorten. Dabei kann die heute 74-Jährige auf eine bemerkenswerte Karriere als Schauspielerin zurückblicken – mit Stationen im Tanztheater von Pina Bausch sowie Arbeiten für Claus Peymann oder Peter Zadek. Dank ihres Organs ist Großmann auch gefragte Hörbuch-Sprecherin, was sie für diese Produktion der lautten compagney berlin geradezu prädestinierte.

Deren Leiter Wolfgang Katschner hatte die Idee für dieses Spektakel, das Skript lieferte der Schriftsteller und Regisseur Christian Filips, die musikalische Dramaturgie lag in den Händen von Andreas Nachtsheim, der auch Mitglied des Ensembles ist, das den Soundtrack für dieses Hörstück liefert. An der Barockgitarre und auf der Vihuela musiziert Nachtsheim gemeinsam mit Friederike Otto (Zink), Birgit Schnurpfeil (Violine), Ulrike Becker (Gambe) und Peter Kuhnsch (Percussion) Musik der spanischen Renaissance: Diego Ortiz, Gines de Morata, Gaspar Sanz und andere. Otto schlüpft zudem mit zart intoniertem Gesang als Stichwortgeberin für den Don, um seine Angebetete zu beminnen.

Die Musik tut ihr Übriges dazu, dass sich die Bilder, die Mechthild Großmann da schildert, herrlich bunt vor dem inneren Auge aufbauen. Die Schauspielerin ließ sich für die Rolle der Rosinante offenbar sehr gerne einspannen und scharrt sozusagen während der Musik immer schon mit den Hufen, um mit wallender Mähne sowohl im leichten Trab als auch im gestreckten Galopp von den Abenteuern ihres Don zu berichten. Mit schnarrender Stimme erzählt sie, wie der Ritter von der traurigen Gestalt seinem Namen alle Ehre macht, wenn er halbnackt pralle Weinschläuche mit dem Degen malträtiert, weil er sie für Riesen hält, die seiner Dulcinea zu nahekommen könnten. Dabei entpuppen sich das Kastell als Bordell und der Kastellan als Zuhälter. Der Kampf gegen die Windmühlen verläuft nicht minder erfolglos – stets süffisant kommentiert von Rosinante, dem eloquentesten Equus seit Mr. Ed.

Dass sich zuweilen auch diese Stute mal in ihrer Phantasie vergaloppiert und „mit lüsternen Nüstern“ nach galizischen Hengsten linst, lässt sie auch gerne mal abschweifen – man kann seine Sehnsüchte eben nicht immer im Zaum halten. Cervantes‘ Geschichte aus der Sicht Rosinantes und mit der Stimme Großmanns zu hören ist dabei ein ungezügeltes und kurzweiliges Vergnügen. Und der musikalische Rahmen ist ebenso perfekt inszeniert: Die lautten compagney begeistert mit prickelnder Spielfreude und schwingt musikalische die Hufe, wenn sie mit Trommelwirbel und Zinksignal den Aufbruch des Ritters schildert, con legno das Kreuzen der Degen abbildet oder des Trosses Trott durch die staubige Sierra schildert.

Renaissancemusik wird heute vor allem von deren Liebhabern goutiert. Mit Projekten wie dem Hörstück „Die Abenteuer des Don Quichote“ kann man diese Alte Musik höchst elegant auch einem breiteren Publikum präsentieren und es dafür gewinnen. Ein spannender Weg der musikalischen Kulturpflege also, der sich lohnt beschritten zu werden. Oder eben beritten.

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