Meditatives Kreisen
MAINZ (7. August 2023). Will man dem großen Frank Sinatra glauben, ist New York eine Stadt, die niemals schläft. Und tatsächlich bringt man diese Millionenmetropole wohl am wenigsten mit Stille oder der Durchhörbarkeit eines Vokalquartetts in Verbindung. Doch die vier Herren, die sich 2006 zum Ensemble New York Polyphony fanden, stehen genau dafür. Und sie sind in der Region keine Unbekannten: 2014 waren sie im Rheingau Musik Festival zu Gast, 2015 sangen sie bei RheinVokal und traten 2019 erstmals beim Mainzer Musiksommer auf. Dort begeisterten sie die Zuhörer dermaßen, dass es prompt zu einer Wiedereinladung kam.
Das Konzert in der Seminarkirche (dessen Mitschnitt SWR2 am 22. November um 13.05 Uhr sendet) schlug einen Bogen vom 12. Jahrhundert bis in unsere Tage: von anonym verfassten Gesängen, die unisono begannen und sich über schlichte Oktavierung an die Vielstimmigkeit herantasteten, bis zu Werken von John Rutter, Paul Moravec und Ivan Moody. Nach einem ersten Teil mit geistlicher Musik sang New York Polyphony im zweiten dann ein weltliches Repertoire und überzeugte mit einer klangvollen Mixtur aus Franz Schubert, William Henry Monk und „The Revellers“ – Geoffrey Williams (Countertenor), Steven Caldicott Wilson (Tenor), Andrew Fuchs (Bariton) und Craig Philips (Bass) sind eben in allen Stilen zuhause.
„Dwelling in Unity“ hieß das gesungene Programm, dessen Titel sich auf ein Psalmwort bezieht, das vom friedlichen Zusammenleben spricht: Übersetzt man diesen Gedanken nun in Musik, landet man bei Harmonie und Einklang – wie an diesem Abend mit New York Polyphony. Und zwar in Vollendung: Glasklar, ausgewogen und rein intoniert singen die Stimmen Bögen und Intervalle aus. Dabei vereinen sich die vier vokalen Individuen, dass man geradezu von einem lebendigen Organismus sprechen möchte. Geschmackvoll ist die Stimmführung, elegant, ungekünstelt und kraftvoll. Mit pulsierender Dynamik spreizt sich der Ton des Quartetts zum vielstimmigen Chor auf: Hier wird Polyphonie zum Erlebnis und steht dabei vollkommen schwerelos im Raum. Egal, welches Werk angestimmt wird: Im Mittelpunkt von New York Polyphony steht der Klang, durch den sich der Text eindringlich manifestiert und zeitgleich ausgelegt wird.
„Dwelling in Unity“ schloss auch Stücke des Komponisten William Byrd ein, dessen 400. Todestag die Musikwelt in diesem Jahr gedenkt: Das „Agnus dei“ aus der Messe für vier Stimmen traf einen direkt ins Herz, so flehentlich intonierte das Quartett die Bitte um Erbarmen und Frieden. Dadurch wurde die Kunst des Abends durchaus zum politischen Statement – gesungen in Latein, aber ausgedrückt in der universell verständlichen Sprache der Musik. Gleich aus mehreren Quellen, nämlich byzantinischen, serbischen und russischen, speisen sich die „Vespers Sequence“, die Ivan Moody 2017 für New York Polyphony schrieb. Auch dieses meditative Kreisen intonierten die Sänger eindringlich.
Ebenfalls derart maßgeschneidert ist das Stück „Darest thou Now, O Soul“ von Paul Moravec, das im Mainzer Musiksommer seine Erstaufführung auf dem europäischen Kontinent erlebte: ineinanderfließende Modulationen mit bewusst verwischten Akkorden, bei denen die Stimmen in der Musik vollkommen aufgehen. New York Polyphony erschuf hier einen Melodienstrom, in dem man sich verlieren und gleichzeitig finden konnte.