Grenzenloses Hörvergnügen
MAINZ (17. Juli 2024). Wenn man die Musiker des Frank Dupree Trios spielen sieht – neben dem namengebenden Pianisten sind dies Obi Jenne am Schlagzeug und Jakob Krupp am Kontrabass –, müssten die Künstler auf ihr Honorar nicht nur Einkommens-, sondern vor allem auch Vergnügungssteuer bezahlen, eine solche Freude bereitet ihnen das gemeinsame Musizieren im Fürst-von-Bismarck-Saal der einstigen Sektkellerei Kupferberg. Der Mainzer Musiksommer bietet ein breites Spektrum, wozu eben auch Weltmusik und Jazz gehören.
Es ist ein warmer Abend und das Trio sorgt dafür, dass es noch richtig heiß wird, selbst wenn sie coole Akkorde anschlagen. Das Programm verspricht „Klassik von Übersee“: klassischen Jazz eben, der mit Leonard Bernstein von Amerika über das Berlin der 1920er- und 1930er-Jahre zu Kurt Weill bis nach Moskau schwappt, wo sich Nikolai Kapustin hinter dem eisernen Vorhang mit der verbotenen Musik beschäftigt. Gerade mit Kapustin hat sich das Trio intensiv beschäftigt und bereits drei Alben mit seiner Musik aufgenommen.
Den Anfang macht Weill mit Songs aus der 1928 uraufgeführten „Dreigroschenoper“. Im „Lied von der Unzulänglichkeit des menschlichen Strebens“ konterkarieren die Musiker den Titel, denn ihr energiegeladenes Spiel ist alles andere als mangelhaft. Und genauso breit wie das Grinsen der Musiker ist das des Haifischs, der in einem Interludium kurz mal die Zähne zeigt. Verträumt cool gelingt die „Ballade vom angenehmen Leben“, was Dupree mit samtigem Anschlag unterstreicht, sachte umweht vom gefühlvollen Bass und den Besen der Percussion. Im Liebeslied überraschen die häufigen Taktwechsel, was den Song unglaublich lebendig macht. Duprees Arrangements sprühen von Witz und Perfektion, was im „Kanonen-Song“ gipfelt, denn da möchte man sich im Trommelfeuer und Kugelhagel von Jennes gleichsam detonierenden Drums fast wegducken.
Das versöhnliche Intermezzo, Weills einziges Werk für Klavier solo aus dem Jahr 1917, leitet mit seinem spätromantischen, von Jazzharmonien durchwobenen Gestus zum nächsten Komponisten über. Nikolai Kapustin, geboren 1937 im heute ukrainischen Gorlowka und gestorben 2020 in Moskau, liebte den Jazz und brachte sich sein Komponieren autodidaktisch durch (seinerzeit verbotenes) Hören von Schallplatten der Großen wie Duke Ellington, Count Basie oder Oscar Peterson bei. Das Besondere an seiner Musik ist, dass sie vollkommen improvisiert klingt, jedoch Note für Note vorgegeben ist.
Dupree hat die Klavierwerke geschickt um Bass und Drums erweitert, so dass man in „Big Band Sounds“ op. 46 tatsächlich eine veritable Jazzkapelle zu hören meint. Mögen die Musiker auch an die Partitur gebunden sein, ist das Hörvergnügen doch grenzenlos. Das „Prelude“ aus der Concert Etude op. 40 No. 1 gefällt nach dem prallen Ton des ersten Stücks mit verspielter Attitüde und im dritten, den Variations op. 41, erprobt sich Kapustin in allen nur möglichen Jazz-Stilen. Grandios komponiert, brillant interpretiert.
Nach der Pause gibt es eine Suite aus Bernsteins „West Side Story“, die ja eigentlich in New Yorks Eastside spielt: „Jet Song“, „Somewhere“, „I feel pretty“ und natürlich der „Mambo“ (das Publikum kann am 11. November ab 13.05 Uhr in SWR Kultur hören, ob seine Einwürfe immer punktgenau waren). In „Cool“ gib es ein großartiges Solo von Jenne und es fehlt nur noch, dass er wie einst Lionel Hampton auf die Trommel springt.
Mit der Zugabe – „Caravan“ von Duke Ellington und Juan Tizol – liefert sich der Drummer mit dem Pianisten an den Bongos sogar ein lustiges Echo-Duell à la Cab Calloway. Ansonsten huschen die Finger spinnengleich über die Tastatur, Frank Dupree hat einen perfekten Anschlag und ein faszinierendes Rhythmusgefühl: Zwei fast magische Hände also, die gemeinsam mit denen von Jenne und Krupp einen unvergesslichen Konzertabend zaubern.