Viva España!
MAINZ (5. August 2025). Am Morgen traut man seinen Ohren kaum: Da verliest der Nachrichtensprecher im Radio, die USA wollen auf dem Mond ein Atomkraftwerk errichten – und das möglichst schnell, um China zuvorzukommen, das Ähnliches plant. Ja, ist die Welt denn nun vollkommen verrückt geworden? Und was hat das alles mit einem Gastspiel der Gitarristin Laura Lootens im Mainzer Musiksommer zu tun? Ganz einfach: Es sind derart berührende Konzerte wie das in St. Ignaz, die einen innehalten lassen und erden, weil man sich abseits des Alltagswahnsinns auf die Schönheit der Musik konzentrieren kann und darf.
Genau diese Anmut ist auch das Markenzeichen von Laura Lootens‘ Spiel, das gleichgewichtig neben der hohen Qualität ihres Spiels steht. Vollkommen abseits jeglicher Selbstdarstellung zählt für sie nur die Musik, für sie offenbar die Mittlerin, für die sie die Stimme ergreift. Die junge Künstlerin ist stets nur im halbrechten Profil zu sehen, hat ihr Gesicht stets Hals und Kopf ihres Instruments zugewandt. Kommunikation mit dem Publikum findet ausschließlich durch den Klang statt. Deutet man ihre Mimik richtig, korrespondiert sie fast schon auf eine sinnliche Art mit ihrem Instrument, der Musik und vielleicht ja (selbst, wenn dies jetzt natürlich ins Paranormale kippen mag) auch mit den Geistern ihrer Schöpfer.
Gleichviel: Mit ihren Interpretationen der Stücke von Agustín Barrios, Joaquim Malats, Regino Sainz de la Maza, Johann Kaspar Mertz und Joaquín Rodrigo sowie vor allem des ihr hörbar besonders am Herzen liegenden Isaac Albeniz erweckt Lootens deren Musik zu neuem Leben und beginnt, mit leuchtenden Farben zu malen. Mal feurig, temperamentvoll und mit kraftvollem Anschlag, mal geradezu zärtlich und in Gedanken versunken träumt sie ihren „Traum von Spanien“. Stets hochkonzentriert, ja fokussiert enthält die Musikerin ihrem Spiel jedoch jegliche Strenge vor, denn bei aller Intensität klingt es doch natürlich und ungezwungen.
Was ebenfalls fasziniert, ist die Spannung, mit der Lootens die dynamische und agogische Balance hält. Technisch brillant lässt sie ihre Finger über Griffbrett und Schallloch flitzen, verwandelt die Saiten in „Un sueño en la floresta“ mühelos in ein Glockenspiel. Auch das Flageolett, jener helle Oberton, Vibrati, Glissandi und beflügelte Arpeggien werden stets mit Effekt, aber ohne Affekt gestaltet. Die junge Gitarristin (Jahrgang 1999) lässt die Musik in ihren Interpretationen beeindruckend Weite atmen, gibt ihr Raum.
Ein Höhepunkt ist natürlich das letzte Stück vor der Pause: „Asturias“ aus Albeniz‘ „Suite españole“. Unglaublich, dass der Komponist niemals etwas für Gitarre, sondern seine Stücke hauptsächlich für das Klavier schrieb. Von Laura Lootens gespielt erhält die Musik jedoch eine souveräne und vor allem persönliche Autorität, denn hört man sich danach das Original mal auf dem Tasteninstrument an, klingt es wie ein seltsam künstliches Arrangement.
Das Konzert wird von der Künstlerin ansprechend moderiert: nicht zu knapp, aber eben auch nicht zu ausführlich. Gebannt hört man von der nach einer Zwangsheirat unglücklichen Ehefrau, die selbst nach dem Tod des ungeliebten Gatten durch einen Fluch nicht zur Ruhe kommt und diesem erst durch einen Trick entkommt: So, wie die Musikerin die von Joaquin Rodrigo in „Invocacíon y danza“ vertonte Story erzählt und anschließend spielt, wird sie fast zur Geschichte, die das Leben schreibt.
Laura Lootens gab mit diesem Konzert ihr Solodebüt im Mainzer Musiksommer, nachdem sie in der vergangenen Saison unter freiem Himmel gemeinsam mit den Heidelberger Sinfonikern die „Sterne des Südens“ beschworen hatte. Dass eine Künstlerin in der Folgesaison gleich wieder eingeladen wird, ist nicht selbstverständlich. Doch offenbar gelang es Lootens damals wie heute, ihr Publikum mit ihrem Gitarrenspiel zu elektrisieren.
Mit der Zugabe in St. Ignaz rührte sie denn auch gleich charmant die Werbetrommel für ihre zweite CD: Nach einer reinen Albeniz-Reminiszenz 2023 widmet sich die Solistin mit dem erst vor zwei Wochen beim Label Naive erschienenen Album „Diabolico“ unter anderem Musik von Niccolò Paganini, Mario Castelnuovo-Tedesco und Nuccio D’Angelo.
Dieses Konzert des Mainzer Musiksommers wurde von SWR Kultur mitgeschnitten und ist am 8. Dezember von 13.05 bis 15 Uhr in der Sendung Mittagskonzert zu hören.