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Wenn Skype das Crescendo leiser macht

MAINZ (30. April 2020). Das Corona-Virus führt zu Konzertabsagen, Festivals stehen auf der Kippe, Künstler bangen um ihre Existenz. Doch auch vor den aktuell verhinderten Erfolg haben die sprichwörtlichen Götter den Schweiß gesetzt – oder besser: eine fundierte musikalische Ausbildung, wie sie in Mainz von verschiedenen Institutionen angeboten wird. Aber wie funktioniert das in Zeiten von Corona?

Am Peter-Cornelius-Konservatorium (PCK), an dem fast 4000 junge Mainzerinnen und Mainzer Instrumental- und Gesangsstunden erhalten, findet der Unterricht ab dem 7. Mai wieder analog statt: vorerst nur für Einzelschüler und Zweiergruppen, die sich ihre Stunde im zweiwöchigen Rhythmus teilen, die Ensemblearbeit ruht bis zum Ende der Sommerferien. Selbstverständlich wird im Gebäude am Binger Schlag, in dem man sich aktuell nur während des Unterrichts aufhalten darf, größter Wert auf Sicherheitsabstand und Hygiene gelegt: Jeweils dürfen nur zwei Personen in einem Raum sein, in allen Toilettenräumen gibt es Seife, warmes Wasser und Desinfektionsmittel, diese auch zusätzlich in den Unterrichtsräumen. Und wo erhöhte Tropfeninfektionsgefahr besteht, wurden Trennwände aufgestellt.

Bisher hatte man hier alternative Unterrichtsformen angeboten. PCK-Direktor Dr. Gerhard Scholz erzählt von Noten per Post, Rücksendung aufgenommener Stücke sowie Unterricht am Telefon und per Internet. Die Euphorie war anfangs groß, doch die Ernüchterung folgte auf dem Fuß: Zum einen waren nicht alle Kollegen gleich technikaffin, zum anderen gibt es auch bei den Anbietern Defizite. So versucht beispielsweise Skype, verschiedene Lautstären bei einer Videokonferenz zu nivellieren: „Stellen Sie sich vor, Sie spielen ein Crescendo und das ist dann auf der anderen Seite nicht zu hören.“

An der Hochschule für Musik Mainz (HfM) werden die Lehrinhalte für die rund 350 Studierenden aktuell ausschließlich in digitaler Form vermittelt. „Man bleibt in Kontakt, bespricht hochgeladene Aufnahmen. Dieser Austausch ist wichtig, damit die Studenten registrieren, dass ihre Entwicklung bemerkt wird“, betont Prof. Sae-Nal Lea Kim. Zwar sei die Qualität der Mitschnitte letztendlich limitiert und das menschliche Ohr könne durch Technik niemals ersetzt werden, doch in den Augen der Pianistin ist dies momentan eben die einzige Möglichkeit voranzukommen. Darüber hinaus sieht sie für ihre Studierenden aktuell auch die Chance, sich selbst zu disziplinieren: „Durch die fehlenden Auftrittsmöglichkeiten ist durchaus ein Motivationsdefizit entstanden.“

Prof. Elisabeth Scholl, die an der HfM Gesang unterrichtet, lobt die universitäre Infrastruktur für den digitalen Lehrbetrieb, hat jedoch festgestellt: „Über dieses Medium ist Gesangsunterricht einfach nicht möglich.“ Die Studierenden müssten Aufnahmen erstellen, hätten hierfür jedoch weder das eigentlich nötige Equipment noch die Räumlichkeiten. Auch die Übezimmer der HfM sind ja derzeit Sperrbezirk. Daher hat Scholl ihren Lehrplan angepasst und doziert im Netz über die inhaltliche Deutung von Liedtexten – „und alles, was im normalen Unterricht zu kurz kommt“. Die Sängerin merkt überdies, „wie wenig digital die digitale Generation eigentlich ist“ und vermittelt ihren Studierenden jetzt Recherchekompetenz: Online-Quellenkunde statt WhatsApp und Facebook. „Nach Corona wird die Musikwelt eine andere sein“, glaubt Scholl außerdem: „Es wird weniger Konzertveranstalter geben, die Auswahl von Künstlern und damit die Konkurrenz untereinander wird härter.“ Auch über solche Themen tauscht sie sich nun mit ihren Studierenden verstärkt aus.

Im privaten Bereich unterrichtet die Musikschule Laubenheim ein breites Instrumentalspektrum. Da der persönliche Unterricht hier auf unbestimmte Zeit eingestellt wurde, haben viele Lehrkräfte wie ihre Kollegen an der HfM auf online umgestellt. In einem Infobrief berichten die Betreiber dabei von durchaus positiven Rückmeldungen aller Beteiligten und werben um Offenheit gegenüber dieser neuen Form.

In der Jungen Streicherakademie Mainz, die sich um den hochbegabten Nachwuchs kümmert, läuft derzeit ebenfalls alles online: Ältere liefern Aufnahmen ab, jüngere werden per Videoclip auf die Lernziele vorbereitet. Auch macht man aus der Not eine Tugend und versucht, positive Seiten eines digitalen Unterrichts zu entdecken, bei dem der Akzent eher auf der Spieltechnik als auf einem (verzerrten) Klangbild liegt. Zwar sei ein direktes Korrigieren unmöglich, doch ein Video ja öfters abspielbar. „Dadurch kann man das Verhalten der Schüler besser analysieren“, erzählt Institutsleiterin Prof. Annette Seyfried: „Rückmeldungen fallen viel differenzierter aus.“ Und sie hat beobachtet: Wer seine Fortschritte per Aufnahmen zu dokumentieren hat, übt mehr. „Da will sich natürlich keiner die Blöße geben“, freut sich die Geigerin über den zunehmenden Fleiß bei manchen ihrer jungen Streicher.

Letztendlich stoßen jedoch alle, die in Mainz Musik lehren, unisono ins gleiche Horn: Hoffentlich können sie bald wieder mit ihren Schülern und Studierenden gemeinsam musizieren. Schließlich betont Prof. Sae-Nal Lea Kim: „Die Magie des Klangs entsteht nur im direkten Kontakt mit dem Publikum.“

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