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Eine „Oper im Talar“

WIESBADEN (6. Dezember 2024). Georg Friedrich Händels Oratorium „Messiah“ ist geistliche Musik, passt aber stilistisch hervorragend ins Kurhaus, das zum jüngsten Meisterkonzert nahezu ausverkauft ist. Liegt es am Werk oder an den angekündigten „britischen Spitzenensembles“? Wohl an beidem – oder besser an allen dreien: Dirigiert von Nigel Short musiziert der Tenebrae Choir mit der Academy of Ancient Music, der „Messiah“ erklingt in der Originalfassung von 1741. Die veröffentlichte der in der Nachbarstadt Mainz beheimatete Gutenberg Kammerchor 2023 übrigens als Weltersteinspielung auf CD – Händel ist in der Region nicht nur an diesem Abend offenbar ein Stück weit zuhause.

In dieser frühen Fassung ist die Begleitung des Chores durch Holzbläser ohrenfällig, was dem Ton noch mehr Rundung verleiht. Und sowohl vokaler als auch instrumentaler Klangkörper lassen keinerlei Wünsche offen: Wie gelasert erklingen die Koloraturen selbst bei rekordverdächtigen Tempi. Der mit jungen Stimmen besetzte Tenebrae Choir erweist sich als Aufmerksamkeitsmagnet innerhalb einer Aufführung, die dank Shorts Dirigat klar, klug und kenntnisreich ist, auf Pathos verzichtet und gerade in ihrer schlanken Form mit Grandezza überzeugt.

Es gibt zahlreiche ergreifende Momente, aus denen die Pifa mit den folgenden Sopransoli von Grace Davidson herausgegriffen sei: Das Instrumentalstück hört man im Pianissimo wie von fern und unfassbar zart, wodurch eine klangliche Dreidimensionalität entsteht – in seiner Einfachheit ein selten derart anrührender Augenblick. Wie auf Zehenspitzen huscht Davidson für ihr erstes Accompagnato vor das Orchester, als scheue sie sich, dieses Idyll zu stören – aber keine Angst: Sie singt bezaubernd. Die Szene der Verkündigung mündet in das Duett mit Altistin Martha McLorinan, in dem die orchestrale Dynamik wächst und doch den Ruhepuls des Anfangs bewahrt. Man hört auf Englisch „Er sammelt die Lämmer gar sanft in seinem Arm.“ und so behutsam, wie beide Sängerinnen bei der instrumentalen „Herde“ bleiben, meint man, fast selbst das Fell eines Juniorschafs zu kraulen.

Zuvor hat McLorinan bravourös Zähne gezeigt: Gleich in ihrer ersten Arie scheint sie das läuternde Feuer Gottes geradezu auf die Bühne zu speien und auch die Marterszene Jesu wird von ihr mit hinreißender Dramatik gestaltet – Händels „Messiah“ ist eben auch eine „Oper im Talar“. Der Altistin ebenbürtig ist auf jeden Fall Bass Matthew Brook, der seine Partien blutvoll als alttestamentarischer Prediger gestaltet. In seiner letzten Arie wetteifert er im Funken schlagenden Dialog mit der Trompete, deren Schmettern er selbst einfordert. Als diese am Ende das Thema noch einmal wiederholt, wendet er sich aufmerksam lauschend dem Solisten zu – kleine Geste, große Wirkung. Nicht so recht kann Nick Pritchard überzeugen: Der Tenor setzt zu sehr auf Vibrato und nimmt es mit der Intonation nicht immer so genau, weswegen seine Partien kaum im Gedächtnis bleiben.

Alle Vokalisten singen jedoch ein wunderbares Englisch: mit weich deklamierten Schlusssilben, gerolltem und offenem „r“, was selbst bei Muttersprachlern keine Selbstverständlichkeit ist – hier schon und ein Genuss. Den Künstlerinnen und Künstlern brandet am Schluss verdienter Jubel entgegen – vor allem dem Tenebrae Choir, der erneut bewiesen hat, dass er aktuell zu den besten Vokalensembles weltweit zählt.

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