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Passion mit großem Personalspiegel

MAINZ (30. März 2018). Angesichts der Faszination, die Bachs Oratorien heute auf Interpreten und Zuhörer ausüben, kann man sich kaum vorstellen, dass sie nach seinem Tod bald in Vergessenheit gerieten. Erst 1829 wurde die Matthäuspassion (und 1833 die Johannespassion) erneut aufgeführt. Dieser Tage gehören beide Werke nicht nur zum festen Repertoire, sondern sind auch vielfach auf CD verfügbar.

Aus Mainz kamen zur Passionszeit gleich zwei dieser Produktionen auf den Markt: Zum einen haben der Gutenberg-Kammerchor und das Neumeyer Consort unter der Leitung von Felix Koch (bei Christophorus) das faszinierende Gedankenspiel einer rekonstruierten Markuspassion (mit gesprochenem Evangelien-Text) aufgenommen, zum anderen der Bachchor Mainz die Johannespassion. Diese CD bildet den Auftakt einer Gesamteinspielung des Bachschen Oratorienwerks beim Label Naxos. Auch die Aufführung der Matthäuspassion am Karfreitag in der Christuskirche wurde daher mitgeschnitten.

Wie schon bei der Johannespassion darf sich der Hörer auch auf eine spannende Auslegung von BWV 244 freuen. Sie beantwortet gleichsam die Frage, warum diese Produktion mehr ist als nur eine weitere Ergänzung des umfangreichen Bestands: Otto legt größten Wert auf die Sprache und ihren Klang, da für ihn das Geheimnis von Bachs Musik auch und gerade in der Vertonung des Wortes liegt. Deshalb wählte er für seine Aufnahmen ausschließlich Muttersprachler, weil gerade sie „für eine feinsinnige, bewegliche und packende Deklamation des Textes“ stünden, wie Otto im Vorfeld erklärte.

Die Mitwirkenden setzten diesen Anspruch auch im jüngsten Konzert zur Gänze um: Sowohl Chor als auch Solisten überzeugten durch ergreifend saubere Diktion und Intonation. Das doppelchörige Ensemble war dabei schlank besetzt, das Bachorchester musizierte delikat auf historischen Instrumenten. Kurz: Man hörte Bach, wie man es sich kaum besser wünschen kann. Vielleicht drosselte Otto das Tempo in den stimmungsvoll umgesetzten Chorälen stellenweise zu arg oder zog es in den Turba-Chören über Gebühr an – dafür genoss man andere Momente umso mehr: das hinreißende Violinsolo von Swantje Hoffmann in der „Erbarme Dich“-Arie oder den Schlusschor, in dem der Ruf „Ruhe sanft“ klang, als werde er von einem Fernchor angestimmt.

Aus der Reihe der Solisten ragte der Evangelist heraus: Tenor Georg Poplutz zog den Zuhörer sofort in ein elektrisierendes Spannungsfeld zwischen objektivem Erzählen und emotionaler Anteilnahme. Einen derart funkelnden Brillanzkern sucht man in der Reihe der deutschen Evangelisten aktuell vergebens. Faszinierend war auch die Gestaltung der Christusworte durch den gerade 28 Jahre alt gewordenen Matthias Winckhler: Sein Jesus ist eine Autorität, zu der man voller Vertrauen aufblicken möchte.

Die weiteren Solisten des Abends – Jasmin Hörner (Sopran), Gerhild Romberger und Nohad Becker (Alt), Daniel Sans (Tenor) sowie Christian Wagner und Florian Küppers (Bass) – überzeugten ebenfalls durch die Bank. Doch genau hier fällt der Wermutstropfen: Dadurch, dass sich Otto den Luxus erlaubte, beiden Orchestern in jedem Register eigene Arien-Interpreten zu gönnen – auf der CD werden später noch Julia Kleiter (Sopran), Christian Rathgeber (Tenor) und Daniel Ochoa (Bass) zu hören sein –, kam man um das Vergleichen kaum umhin. Und das trübte die ansonsten zutiefst kontemplative Stimmung leider ein wenig.

Johann Sebastian Bach: Johannespassion | Bachchor und Bachorchester Mainz (Leitung: Ralf Otto) | Georg Poplutz (Evangelist), Yorck Felix Speer (Christus) | Julia Kleiter, Gerhild Romberger, Daniel Sans, Matthias Winckhler | Naxos 8.573817-18

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