Hausmusik im Plattenbau
ASCHAFFENBURG – Von wegen „der Pole an und für sich“ klaut! Andersherum wird ein Schuh draus: Zumindest was die Popmusik und hier vor allem die Top 10-Hits angeht. Denn sie stammen nicht von Prince, Mike Oldfield, Gloria Estefan oder gar Dieter Bohlen, sondern von einer einzigen Familie: den Popolskis aus Zabrze. Alle 128.000 Stück. Das sagen zumindest Pawel, Mirek, Danusz und Janusz, die derzeit mit vermeintlichen Coversongs durch Deutschland touren und dabei immer größere und begeisterte Fanscharen anlocken.
Im Aschaffenburger Colos-Saal ist das Publikum aus dem Häuschen, weiß man doch hier um „der Wahrheit“: Opa Pjotrek Popolski hat seinerzeit die Popmusik erfunden, doch die Enkel ließen sich alle „Chits“ von einem windigen Gebrauchtwarenhändler klauen, der sie seinerseits an untalentierte Poptitanen verhökerte, die damit wiederum Millionen scheffelten. Und die Popolskis? Gingen leer aus! Fristeten ihr Dasein im tristesten aller Plattenbauten im heimischen Zabrze, bis sie sich ein „Cherz“ nahmen und das deutschsprachige Ausland seither mit einer Aufklärungstour überziehen, um ihr geistiges wie musikalisches Eigentum einzufordern.
Wie „chackedicht“ führen sich die Fans auf, wenn Pawel Popolski die abenteuerliche Familiensaga erzählt, gegen die Dallas und Denver Clan kalter Kaffee oder allenfalls alkoholfreier „Vudka“ sind. Und irgendwie wird man das Gefühl nicht los, als seien die Schöpfer dieses herrlichen Nonsens‘ bei dessen Inkarnation auch nicht mehr ganz so nüchtern gewesen. Dass so etwas erst mal für verblüfftes Kopfschütteln sorgt, konnte man jüngst bei einem Kurzauftritt der Band in den „Mitternachtsspitzen“ des WDR beobachten, in der „The Pops“ ohne richtige „Vorwarnung“ auf ihr Publikum losgelassen wurden und gerade die älteren Zuschauer dem Bühnentreiben mit angstgeweiteten Augen zusahen.
Im Colos-Saal aber sind heute nur echte Fans, die die beiden CDs („Dobrze“ und „Der Popolski-Show – live von Zabrze“) bereits auswendig (mitsingen) können und natürlich auch das österlich-familiäre „Einchacken“ der Popolskis ins Nachtprogramm des WDR gesehen haben. Selbst die wenigen Ahnungslosen, die sich auf Verdacht eine Karte gekauft haben, genießen den konzertanten Dreiklang aus mitreißenden Melodien, origineller Moderation und einfach nur skurrilen Typen.
Jeder Song, den die Familienband(e) jetzt in der Originalversion spielt, hat seine Geschichte, die zwischen Wahn und Sinn hin und her pendelt. Teilweise auf der Großleinwand illustriert erzählt Pawel mit durchgängig beibehaltenem (!) polnischem Akzent vom größten Skandal der Popgeschichte und hat für alles eine Anekdote bei der Hand. So klaute zum Beispiel Queen „We will rock you“, denn in Wirklichkeit kommt der den Song beherrschende Stampf- und Klatsch-Rhythmus vom an die Decke wummernden Besenstiel Frau Tripczewinskis (auf 1 und 2) sowie (auf 3) von einer an die Wand der Nachbarwohnung zerschellenden Wodka-Flasche, mit der sich „der bekloppste Alte von Nebenan“ über die morgendliche Polka-Probe beschwerte.
Doch nicht nur die Geschichten sind geschickt konstruierter Humbug: Das Treiben „live auf der Buhne“ bläst der irrwitzigen Story den wodkageschwängerten Hauch von Wahrheit ein. In Kostümen, die einer Altkleidersammlung im winterlichen Leipzig des Jahres 1989 entnommen scheinen, spielt „The Pops“ die Hits, die „nach der Strich und nach der Faden in der Grund und in der Boden verchunzet“ worden sind.
Unsicher tastet sich der blinde Danusz nach vorne und intoniert mit samtweicher Stimme den fürchterlichen Song „Großer Bruder“ der Container-Bewohner Slatko und Jürgen als gefühlvolle Jazz-Ballade à la Chet Baker. Janusz ist der „Jungste“ von der Familie und somit auch „der trubste Tasse“, hat früher Kinderlieder wie das „Lied der Schlumpfe“ oder „Schnappek, der kleine Krokodil“ komponiert. Und auch der erste Karnevalshit „Viva Polonia“ stammt von ihm. Er kriegt alle Häme der Brüder ab, hat aber schnell die Sympathien nicht nur der weiblichen Fans: Linkisch und ängstlich zupft er die Bassgitarre, aber bei „Cheri, cheri lady“ rastet er vollkommen aus und singt die rockige „Ur-Version“, dass einem die Brille springt. Und schließlich Mirek Popolski, der auf seiner edlen Stratocastri heiße Riffs spielt und zu einer energiegeladenen Heavy Metal-Version des angeblichen Bohlen-Hits „We have a dream“ eine dreihälsige E-Gitarre schlägt.
Einen Wehmutstropfen hat das Ganze natürlich auch, denn wie bei jedem ordentlichen Familientreffen fehlen einige. Und so ist in Aschaffenburg der schöne Andrzej nicht dabei und sein Lied „Porn to be alive“ [sic!] bleibt ungesungen. Dabei läuft es einem gerade hier fast eiskalt den Rücken herunter, wenn er mit seinem Bass in ungeahnte Tiefen, in denen noch nie eine Singstimme vor ihm gewesen zu sein scheint, hinabsteigt. Auch der mit einem göttlich lyrischen Tenor gesegnete Isidor, die korpulente Version von Meatloaf, glänzt leider durch Abwesenheit.
Dafür lernt das Publikum den lange verschollenen Cousin Bogdan Popolski kennen, den die Band bei Tonproben im Keller unterhalb der Colos-Saal-Bühne entdeckte, wo er seit fünf Jahren als Aushilfe Löcher bohrt. Und sogleich stimmt er die Familien-Hymne „Born as a Popolski“ an – dass selbst Bruce Springsteen ein Töneklauer ist, war bis dato unbekannt. Außerdem sind da noch die beiden eineiigen Zwillinge Henjek und Stenjek, und die blasen ihr Blech, dass es eine Freude ist. Eine Ohren- und Augenweide ist auch die erotisch-rote Dorota, die sogleich mit dem männlichen Teil des Publikums die Kontonummern tauschen will und das einst von Chris de Burgh geklaute „Lady in red“ singt. Witzigerweise klingen so manche der Popolski-Songs um Klassen besser als ihre „Originale“…
Nach einer stilistischen Achterbahnfahrt von „Sex bomb“ über den Ententanz, das schnulzige „Schöne Maid“ und Trios „Da, da, da“ bis zum „Final countdown“ kommt man zu dem Schluss, dass hier ein paar großartige Musiker mal eine richtig verrückte Idee hatten. In seiner Umsetzung gewann dieser Wahnsinn aber eine geniale Form, die einen ob ihrer Skurrilität sofort mitreißt und das Publikum so richtig klasse unterhält: auf musikalisch höchstem Niveau und mit einem Witz, der so einzigartig ist, dass man einfach nur den „Chut“ ziehen möchte. Na zdrowie!
Mehr zu diesem Geniestreich gibt es im Internet unter www.the-pops.de.