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Reinhard Mey – der Barde ohne Verfallsdatum

FRANKFURT – Er mag äußerlich ergraut sein. Doch innerlich ist er jung geblieben: „Ich wollte wie Orpheus singen“ klingt an diesem Abend wie eh‘ und je. Auf seiner „Bunter Hund“-Tour, die ihn auch in die Alte Oper führte, erwies sich Reinhard Mey einmal mehr als Liedermacher, der instinktsicher alle Register der Empfindungen ziehen kann.

Das Publikum in der Alten Oper sieht ihn, wenn es denn keinen Platz in den ersten Reihen gefunden hat, nur als kleinen Mann im Großen Saal. Aber es kennt sein Gesicht: Es ist ein freundliches. Reinhard Mey hingegen kann sein Gegenüber im grellen Scheinwerferlicht zumindest an diesem Abend nicht sehen. Aber auch er weiß: Es sind freundliche Gesichter, die Menschen gehören, denen er viel verdankt: seinen „Freunden und Komplizen“. Und so beginnt er den Abend seiner „Bunter Hund“-Tour mit eben jenem Lied: „Freundliche Gesichter“.

„Wotan und Wolf“, „Der Fischer und der Boss“, „Drei Kisten Kindheit“, „Drei Jahre und ein Tag“ oder „Kai“ und natürlich „Bunter Hund“ sind Lieder des gleichnamigen, aktuellen Studioalbums. Sie werden vom Publikum ebenso dankbar angenommen wie alte und ältere Schätzchen: „Bei Hempels unterm Bett“, „Etienne“, „Liebe ist alles“, „Ich liebe Dich“, „Irgendein Depp bohrt irgendwo…“ oder „Komm, gieß‘ mein Glas noch einmal ein“.

Die Vielfalt der Lieder spiegelt sich mittlerweile auch in den „Freundlichen Gesichtern“ des Publikums wider: Da sind junge, ältere und ganz alte Zuhörer, da ist vermutlich ein Studentenpärchen, aber man sieht auch Schlips, Kragen und Abendkleid: Reinhard Mey ist heute in allen Köpfen daheim – auch in denen des Establishments.

Es ist also ein schöner Abend mit einem klug arrangierten Programm: Lustiges und Unterhaltsames teilt sich die Zeit mit Ernstem und auch Zornigem. Doch Reinhard Meys Schaffen unterscheidet sich so sehr von dem polternd Politischem oder der linken Bräsigkeit der Kollegen Liedermacher Wecker, Wader & Co.: Mey will nicht vordergründig die Welt verändern, sondern jeden einzelnen Zuhörer zum eigenen Nachdenken anregen. Mit seiner wohlig samtigen Baritonstimme, die sich an die geklampften Akkorde schmiegt, kann er einfach jeden Inhalt in eine ansprechende und ergreifende Ballade verwandeln.

Das macht er als Dichter und Denker, der die Liebe besingt und der in den (eigenen) Kindern einen ewig sprudelnden Quell der Inspiration findet. Dann wieder singt er mit dem Schalk im Nacken: Mey ist und wird nie langweilig, was ihm auch (und gerade) dann die Aufmerksamkeit sichert, wenn er leidenschaftlich gegen den Krieg singt. Die Reaktionen seines Publikums sprechen für sich: Mal geht ein erkennendes und mitunter selbstironisches Lachen durch die Reihen und stets ist der Applaus dankbar, nicht selten voll ehrlicher Zustimmung.

„Ich tu‘ was, keine Angst, ich will nicht nur spielen“, singt er im Titellied der Tournee. Und doch will er nicht blinden Gehorsam, sondern kritisches Hinterfragen: Seine erinnerungsschwere Kritik an die Schule schlechthin oder sein harsches Vorgehen an die Rasen mähenden Ruhestörer, die er einst als „Gartennazis“ beschimpfte, haben ihm nicht nur Verständnis, sondern auch Schelte eingebracht.

Aber sind Fehler immer Fehler? Diese Frage stellt er zwar in einem anderen Zusammenhang, doch die Antwort passt auch hier: „Manchmal waren die Nackenschläge und Enttäuschungen auch wertvolle Erfahrungen.“ Die wiederum in neue Lieder einfließen.

Dennoch: Der erhobene Zeigefinger, der moralische zumal, ist seine Sache nicht, braucht Reinhard Mey doch beide Hände zum beherzten Griff in die Saiten. Seine kunstvoll geschmiedeten Verse sind einfach überzeugend: offen und ehrlich, anrührend und plausibel.

Fragte man gerade außerhalb seines treuen Publikums nach seinem Beruf, wäre Reinhard Mey wohl der meistgenannte Barde. Denn das, was diesen Liedermacher von „Ich wollte wie Orpheus singen“ bis zum „Bunten Hund“ ausmacht, ist die Authentizität: In seinen Texten, seinen Liedern und in seiner Person.

Ein Zwischenruf sagt an diesem Abend mehr als der Applaus, die stehenden Ovationen in der seit einem Jahr ausverkauften Alten Oper, als Mey im Lied „Sommer ‘52“ ein letztes PS zitiert: „Es ist so schön hier, ich würd‘ gern noch länger bleiben!“ Und spontan vernimmt man ein begeistertes: „Au ja!“

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