Lieder sagen mehr als Worte
FRANKFURT (15. Oktober 2014). „Da bin ich wieder“, singt er und blickt mit leuchtenden Augen ins Publikum der ausverkauften Jahrhunderthalle. Die Freude nimmt man Reinhard Mey ab: Frankfurt ist seit jeher fester Gastspielort. Kurz vorher hat er nochmal nachgeschaut: „Fast auf den Tag genau vor 43 Jahren war ich das erst Mal genau hier. Und Sie sind auch wieder da.“
Ein kleines Stückchen Zeitreise ist auch die aktuelle „Dann mach’s gut“-Tournee: Immer wieder geht ein erkennendes Klatschen durchs Auditorium, wenn es ein altes Schätzchen an den ersten Akkorden wiedererkennt. Und tatsächlich singt Mey „Über den Wolken“ als „Lied, das ich nur alle zehn Jahre anstimme – heute ist so ein Tag“. Dieser Titel wird wohl Generationen überleben.
Eigentlich ist es ja egal, was Deutschlands populärster Musik-Poet da auf der Bühne macht: Die Kommunikation mit dem Publikum – für ihn „Freunde, die zu einer lang schon ausgemachten Verabredung kommen“ – fällt mit dem ersten Ton, dem ersten Wort innig, fast schon intim aus. Dabei ist Mey einer, der die Privatsphäre hütet wie seinen Augapfel, private Fanseiten im Internet gerichtlich untersagen lässt. „Was ich noch zu sagen hätte, dauert eine Zigarette“, singt er politisch nicht mehr ganz korrekt – und das tut er lieber selbst.
Zu sagen hat Reinhard Mey viel: In „Narrenschiff“ prangert er den Wahnwitz unserer Zeiten an – kein aktuelles Lied, doch aktueller denn je. Dieser „Spielmann“, dem man immer mit einem besorgten „Reinhard, Reinhard…“ riet, doch etwas Anständiges zu lernen, ist nicht gescheitert: „Anders als mancher mit Doppelname, Karl-Theodor oder Franz-Peter. Mancher gerät auch als Minister oder Bischof auf die schiefe Bahn.“ Der Plauderton Meys täuscht keine Minute darüber hinweg, dass ihm bei allem Wortwitz oder Leichtigkeit seiner Lieder die Botschaften am Herzen liegen.
Der Tierfreund besingt einem Transporter entsprungene Kühe auf der Autobahn, der Barde seinen früheren Kollegen „Wolle“ (Petry), der Großvater das Enkelkind, der Vater seine Kinder oder der Mann seine Frau – „Ich liebe Dich“ ist ein älteres Lied, an diesem Abend aber klingt es jung und unverbraucht. Meys Gefühle sind niemals peinlich, sondern echt und authentisch – wie der Gesang mit inzwischen etwas zitterndem Timbre.
Auf dem aktuellen Album, das der Tour ihren Namen gab, finden sich zwei Lieder, auf die wohl jeder gespannt ist: „Dann mach’s gut“, ein Abschiedslied an den nach schwerer Krankheit verstorbenen Sohn Maximilian, und „Lass nun ruhig los das Ruder“, eine ergreifende Ballade, die den Tod nicht als grausamen Schnitter, sondern als barmherzigen Bruder begreift. Mey kommentiert nichts, wahrt auch hier das Private und sagt doch mit den Liedern mehr als es tausend Worte könnten. Es ist das Geheimnis seiner Musik: In ihr kommen ihm die Hörer unglaublich nah – und er ihnen, diesen „freundlichen Gesichtern“, wie er sie in einem Song des Abends nennt.
Ob er sich wohl hat träumen lassen, dass er, der bald 72-jährige, jemals und noch immer Hallen füllt? Er selbst verneint dies und bedankt sich bei der „lieben guten Fee“ für so manch unerfüllten Wunsch. Der jedoch wurde ihm gewährt: „Ich habe den schönsten Beruf, denn ich kann dabei singen. Fragen Sie mal Pizza-Bäcker oder Gondolieri…“