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Rheingau Musik Festival ohne „Plan B“

OESTRICH-WINKEL (16. Februar 2022). Mittlerweile ist der Vorverkauf für das 35. Rheingau Musik Festival gestartet. Von den rund 131.000 erhältlichen Karten haben die über 4000 Mitglieder des Fördervereins bereits rund 20 Prozent erworben, doch sind noch genug übrig, um in zehn Wochen mit 133 Konzerten an 25 Spielstätten endlich wieder einen von Corona hoffentlich ungetrübten „Sommer voller Musik“, so der Festival-Slogan, zu erleben. Auf die Frage eines Journalisten, ob man denn für alle Fälle einen „Plan B“ in der Hinterhand habe, antwortet Intendant Michael Herrmann mit einem klaren „Nein“. Sein Team habe ohne Corona geplant. Und dieser Optimismus ist an jenem Vormittag spürbar.

Zwei Jahre Pandemie, eine komplett ausgefallene Saison, eine mit Einschränkungen – dennoch ist man im Rheingau hochmotiviert: Neben dem neuen Festivalprogramm im ansprechenden DIN A4-Format steht auch der Relaunch der Website an. Herrmann dankte für jede Unterstützung, die das Rheingau Musik Festival in der schweren Zeit erhalten habe und meinte damit nicht nur die staatliche Kulturförderung, sondern vor allem die Treue des Publikums, das sein Geld für ausgefallene Konzerte vielfach nicht zurückgefordert habe; auch ein Großteil der Sponsoren blieb an Bord – nicht umsonst steht das diesjährige Festival unter dem Motto „Zusammenhalt“. Auch seinem Team dankte Herrmann mit dem schönen Satz, die Mitarbeiter hätten den Begriff „aufgeben“ aus ihrem Wortschatz gestrichen.

Was also kann man in diesem Sommer im Rheingau hören und erleben? Gleich beim ersten Termin stellt sich eine weitere Frage: Ob man beim Eröffnungskonzert wohl ein anderes Signal hört, das den nahenden Beginn oder das Ende der Pause ankündigt? Just an diesem Abend erklingt die bekannte Fanfare nämlich im musizierten Stück, der zweiten Sinfonie „Lobgesang“ von Felix Mendelssohn Bartholdy (mit Antonin Dvóřàks sinfonischer Dichtung „Das goldene Spinnrad“). Die Tradition fortführend eröffnet am 25. Juni das hr-Sinfonieorchester (hier dirigiert von Alain Altinoglu) das Festival in Kloster Eberbach; das Finale am 3. September gestalten dann die Bamberger Symphoniker unter der Leitung von Christoph Eschenbach mit der achten Sinfonie von Anton Bruckner.

Dazwischen spannt sich einmal mehr ein faszinierender und farbig schillernder, musikalischer Bogen auf, der neben dem deutlichen Akzent auf der Klassik mit grandiosen Künstlern und interessanten Themenschwerpunkten auch wieder genügend Ausläufer in entferntere musikalische Gefilde aufweist, um das Rheingau Musik Festival zu einer weltläufigen und stilistisch breit aufgestellten Reihe zu machen. Das garantieren nicht nur die Fokus-Künstler Julia Fischer (Violine) und Jan Lisiecki (Klavier). Der war persönlich angereist und stellte im Gespräch mit Programmplaner Timo Buckow seine Konzerte vor, darunter die Darbietung aller Klavierkonzerte Ludwig van Beethovens mit dem Chamber Orchestra of Europa am 28. und 29. Juli im Wiesbadener Kurhaus. Im Fokus Jazz steht der Schlagzeuger und Komponist Wolfgang Haffner.

Ein besonderes Ohr wirft das Festival in diesem Jahr auf den Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy, dessen 175. Todestags die Musikwelt am 4. November gedenken wird – im Rheingau eingestimmt durch fünf Konzerte, wobei die Terminballung etwas unglücklich ist, weil das Publikum die Qual der Wahl hat. Am 23. Juli musizieren Julia Fischer und die Kammerakademie Potsdam im Kurhaus unter anderem das e-Moll-Violinkonzert und am gleichen Abend findet die „Nacht der Streichquartette“ mit dem Ensemble Meta4 und dem Gringolts Quartett im Fürst-von-Metternich-Konzert-Kubus statt. Bereits am 22. Juli ist in Kloster Eberbach (unter anderem mit der Akademie für Alte Musik Berlin) das Oratorium „Paulus“ zu hören. Am 24. Juli finden dann gleich drei Veranstaltungen statt: Auf Schloss Johannisberg wird zum musikalisch-literarischen Abend geladen, Michael Schönheit spielt in der Lorcher Kirche St. Martin die sechs Orgelsonaten op. 65 und der Windsbacher Knabenchor singt in Kloster Eberbach den „Elias“.

Wer Knabenchöre liebt, wird an diesem Tag also sicherlich den Windsbachern den Vorzug geben, denn hier tritt nicht nur einer der besten Chöre dieser Gattung weltweit auf, sondern Dirigent Martin Lehmann gibt sein letztes Konzert mit diesem Ensemble im Rheingau, bevor er im Spätsommer die Leitung des Dresdner Kreuzchors übernimmt. Der ist übrigens ebenfalls in diesem Jahr zu Gast (20. Juli), denn das Festival setzt einen weiteren Themenschwerpunkt: Knabenchöre. Bis zum Advent hat das Publikum die Möglichkeit, die namhaftesten deutschen Ensembles dieser Gattung im Rheingau zu erleben: Neben den Windsbacher und den Dresdner gastieren der Thomanerchor Leipzig (8. Juli), die Regensburger Domspatzen (31. Juli) und der Tölzer Knabenchor (8. Dezember).

20 der 133 Konzerte widmet das Festival weiteren jungen Stars der Szene mit der Reihe „Next Generation“, 24 sind bei „Jazz & more“ zu hören, einer Reihe mit Projekten, die laut Veranstalter „dem Jazz auf unterschiedlichste Weise entspringen, über verschiedene Stilrichtungen und Spielarten hinausranken und facettenreiche Einflüsse fremder Länder und Kulturen absorbieren“. Zu erleben sind hier zum Beispiel The Ukulele Orchestra of Great Britain am 3. Juli, Stefanie Heinzmann am 7. August und Laith Al-Deen am 13. August. Natürlich ist das Rheingau Musik Festival auch in diesem Jahr eins für Kinder und Jugendliche mit für verschiedene Altersgruppen maßgeschneiderten Programmen.

Orchester- und Solistenkonzerte, Chor und Kammermusik, Klassik und Jazz, Bachnächte in Kloster Eberbach oder der diesjährige Streichergipfel: All das kann man nur erleben, weil zahlreiche regionale und überregionale Unternehmen aus der Wirtschaft das Rheingau Musik Festival unterstützen. Neben den Premiumsponsoren Lotto Hessen und LG Signature engagieren sich wieder erfreulich viele Co-Sponsoren und Mäzene einzelner Konzerte. Dass für das Festival viel geflogen werden muss, bedingt seine Internationalität; dennoch macht man sich auch im Rheingau Gedanken um das Thema Ressourcen und Nachhaltigkeit, in diesem Jahr unterstützt von der Firma Brita mit Sitz in Taunusstein. Das Rheingau Musik Festival sorgt eben nicht nur für einen „Sommer voller Musik“, sondern ist, um den Slogan des Windsbacher Knabenchores (übrigens Gast mit der ersten Stunde) zu zitieren „Mehr als Musik“.

Das komplette Festival-Programm zum digitalen Blättern gibt es hier: https://www.yumpu.com/de/document/read/66386588/rheingau-musik-festival-magazin-2022

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