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Abheben zu den Sternen

ST. GOAR (30. Juli 2023). Eigentlich hätte der Auftritt von Apollo5 dem Namen nach ja irgendwie von obenher erfolgen müssen – die Stufen des Altarraums der Stiftskirche in St. Goar hätten es hergegeben. Aber auch das Auftauchen des nach der legendären Mondfähre benannten Ensembles aus der Krypta darunter hatte etwas: quasi ein Abheben nach oben, zu den Sternen. Mag Großbritannien nach dem Brexit wirtschaftlich ins Straucheln geraten sein: Die Vokalszene gerade auf der Insel prosperiert ungemein und wird seit rund zwölf Jahren von einem Quintett mitgeprägt, das die Kunst des A-cappella-Gesangs auf allerhöchstem Niveau pflegt.

Bei seinem RheinVokal-Gastspiel präsentierte Apollo5 ein spannendes Programm: Mit der „Mass for Five Voices“ ehrten die Sängerinnen und Sänger den Komponisten William Byrd, dessen Todestag sich am 6. Juli zum 400. Mal jährte. Die einzelnen Sätze wurden dabei von meist zeitgenössischen Chorwerken flankiert, was einen stilistisch ansprechenden Kontrast bildete. Schon der Beginn mit Byrds Motette „Vigilate“ zeigte, wie faszinierend die fünf Stimmen sich einerseits zum satten Chorklang formierten und andererseits eine geradezu atemberaubende Pianokultur pflegen.

Apollo5, das sind Penelope Appleyard und Clare Stewart mit funkelnden Sopranstimmen, Oscar Golden-Lee und Oli Martin-Smith mit höchst kultiviertem Tenorregister sowie Augustus Perkins Ray, dessen sonoren Bass man sogar noch in der letzten Reihe fast körperlich wahrzunehmen meinte – allein für diese Stimme hätte sich der Weg nach St. Goar gelohnt. In selten zu hörender Klarheit, kernig und strahlend bewegen sich die fünf Sängerinnen und Sänger mit schlafwandlerischer Sicherheit vor allem im komplexen Konstrukt der Polyphonie des 15. Jahrhunderts. Einem Hologramm gleich scheint die Klangarchitektur in den Kirchenraum hineinprojiziert.

Man staunt und genießt: Dieser Gesang ist mehr als Musik und Klang, er ist Farbe, ein Spiel mit Licht und Schatten. Allein schon der gerade für englische Stimmen in fremden Sprachen nicht immer so leichte Vokalausgleich gelingt grandios, die Färbung jeder Stimme ist hier identisch, was zu einer makellosen und vor allem obertonreichen Intonation führt. Apollo5 singt so perfekt und gefühlvoll, dass selbst flirrende Dissonanzen zum Wohlklang werden – eine tonale Auflösung ist hier überflüssig, den faszinierend ausschwingenden Schlussakkorden könnte man noch lange nachsinnen.

Leider wurde das Konzept der musikalisch ergänzten Messe durch Zwischenmoderationen unterbrochen – und natürlich auch durch begeisterten Applaus, der (so verdient er nach jedem Stück auch gewesen sein mag) vor der Pause und am Schluss besser platziert gewesen wäre. Doch die Musik William Byrds sowie die geistlichen Werke der ukrainischen Komponistin Victoria Polevá, das unglaublich stimmungsvolle „Heaven-Haven“ von Paul Smith oder das Spiritual „We Shall Walk Through the Valley“ schufen trotzdem eine kontemplative Atmosphäre, die durch einen weltlichen Appendix mit populären Songs von Sarah McLachlan, Marta Keen oder Elton John sanft ausklang.

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