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Klingendes Recyclingmaterial

KIEDRICH (9. August 2013). „Erkennen Sie die Melodie?“ lautete der Titel einer von 1969 bis 1977 im ZDF ausgestrahlten Quizsendung, in der die Kandidaten Lieder aus den Sparten Oper, Operette und Musical benennen mussten. Barockmusik war damals eher kein Thema.

Bei den Besuchern des jüngsten Konzerts von Andreas Scholl und dem „kammerorchesterbasel“ in Kloster Eberbach dürfte es dennoch zu einem ähnlichen Aha-Effekt gekommen sein: Auf dem Programm standen Kantaten von Bach sowie das Konzert für Cembalo, Streicher und Basso continuo f-moll (BWV 1056) und die Sinfonia aus der Kantate „Ich steh‘ mit einem Fuß im Grabe“ (BWV 156).

Bach als Meister der Wiederverwertung eigenen Tonmaterials hat oft Sätze aus Kantaten „recycelt“, auch sein Opus magnum, die h-moll-Messe, ist ein beredtes Beispiel für dieses Parodieverfahren. Und so hörte man die Sinfonia aus BWV 156 an diesem Abend gleich zwei Mal: Zu Beginn des Konzerts mit einem betörend feinen Oboensolo von Xenia Löffler und dann im Largo des Cembalokonzerts mit Davide Pozzi. Auch die gespielte Kantate „Gott soll allein mein Herze haben“ enthält Bekanntes: Die Sinfonia findet sich im ersten Satz des E-Dur-Cembalokonzerts (BWV 1053), die Arie „Stirb in mir Welt“ im folgenden Siciliano.

Ein Wiederhören mit einem Bekannten war auch das Gastspiel von Andreas Scholl, der mit dem Rheingau Musik Festival laut Intendant Michael Hermann nun eine längerfristige Verbindung eingegangen ist und neben jährlichen Konzerten mit dem Publikum seine Lieblingsorte im Rheingau bereist.

In Kloster Eberbach überzeugte der Countertenor einmal mehr mit einer einfühlsamen Bach-Interpretation, die er jedoch selbst zeitweise durchkreuzte: Seine wogende Gestik ließ den Betrachter eher an einen Operettensänger oder einen Politiker am Wahlkampfpult denken als an die Seele, die sich in BWV 156 der wohligen Todessehnsucht verschrieben hat. Der Kantatentitel „Ich habe genug“ bekam somit schnell eine ganz eigene Konotation: Ohne diese Attitüde hätte man die gekonnte Linienführung und die grandios dynamisch abschattierte Reprise in der Arie „Schlummert ein, Ihr matten Augen“ sicherlich mehr goutieren können.

Dem gefällig musizierten Cembalokonzert gab das „kammerorchesterbasel“ unter der Leitung von Mayumi Hirasaki vor allem im Largo mit dem silbrigem Spiel Davide Pozzis auf lautenbegleitetem Pizzicato und im akzentreichen Presto Kontur. Am Ende avancierte der Klangkörper dann auch noch zum Chor und sang gemeinsam mit Scholl den Schlusschoral der Kantate 169 – eine nette Idee, aber auch nicht mehr.

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