Spielerische Handwerkskunst
HOFHEIM (30. Juli 2013). Giorgio Mainerio, Philippe Verdelot, Dari Castello und Bernardo Pasquini haben mehreres gemeinsam: Fast alle lebten im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert, schrieben Musik für die Blockflöte, stehen selten auf dem Spielplan und führen daher unberechtigterweise ein Schattendasein. Zum Glück jedoch gibt es Künstler wie Dorothee Oberlinger, die gerade solche Musik ins Scheinwerferlicht des Konzertpodiums ziehen.
So auch während ihres Gastspiels im Rheingau Musik Festival, für das Intendant Michael Hermann das Taunusstädtchen Hofheim kurzerhand „eingemeindete“: Mit der Pfarrkirche St. Peter und Paul hat man sich vor Ort eine neue Spielstätte erschlossen und expandiert damit einmal mehr über die eigentlichen Grenzen des Rheingaus hinaus.
Grenzenlos ist auch die Musik: Mit dem „Trio Ensemble 1700“ – Marco Testori (Violoncello), Axel Wolf (Laute) und Alexander Puliaev (Cembalo) – hat Dorothee Oberlinger verschiedene Nationalitäten gebunden, um eine Sprache zu sprechen, die den Hörer packt und nicht mehr loslässt. Unmittelbar steigt man ins Programm ein: Das Stück „Shiarazula Marazula“ von Giorgio Mainerio gibt der Bassflöte eine Grundierung des Kontinuos, auf der sie sich einem Aquarell gleich bewegt. Und jäh ist der Wechsel: In „La Lavandara Gagliarda“ wird das dunkle Rezitativ zum hellen Tanz auf der Piccoloflöte.
Wer ein Instrument dieser Familie über die Fibelliteratur des Eleven hinaus erlernt hat, weiß, welche Kraft es kostet der Flöte Töne zu entlocken, die eben nicht hölzern klingen. Dorothee Oberlinger gelingt dieser Akt mit einer feenhaften Leichtigkeit, die alle Farben, Nuancen und Facetten des Flötentones mit echter Leidenschaft ergründet.
Ob Sopranblock- oder Bassflöte: Die Künstlerin verbindet eine anmutige Eleganz mit blutvoller Virtuosität, moduliert den Ton mit geschmeidiger Atemtechnik und legt eine Handwerkskunst an den Tag, die zeigt, dass dieses Wort ja aus zweien besteht: Handwerk und Kunst! Voluminös und warm spielt Oberlinger die Altblockflöte im Madrigal „Benchè ’l misero cor“ von Philippe Verdelot, gibt jedem Satz der F-Dur-Sonate op. 12 Nr. 5 von Benedetto Marcello ein eigenes Gesicht: sprunghaftes Allegro, pastorales Largo, wogende Ciaconna.
Das „Trio Ensemble 1700“ erweist sich dabei als perfekte Einheit aus wunderbaren Solisten: Alexander Puliaev spürt in Bernardo Pasquinis „Toccata con lo Scherzo del Cucco“ für Cembalo dem oftmals besungenen Piepmatz nach und schnell hat man aufgegeben, die Vogel-Rufe zu zählen. Grandios spielt auch Cellist Marco Testori Antonio Vivaldis a-moll-Sonate (RV 44) mit runder, kantabler Stimmführung, rasanten Allegri und einem traumhaft melancholischen Largo voller zartbitterer Vorhalte. Das Quartett schließt mit der berühmten d-moll-Sonate op. 5 Nr. 12 „La Follia“ von Arcangelo Corelli und zeigt, wie wortwörtlich man es nehmen kann, wenn man „Musik spielt“.