Die Kraft der leisen Töne
MITTELHEIM (15. August 2014). Das Faszinierende am Programm des Rheingau Musik Festivals ist seine stilistische Vielfalt, die man zuweilen am konzertanten Angebot eines einzigen Tages ablesen kann: Kammermusik trifft auf Dichtung, Chorwerke, Lieder, romantische Sinfonik und barockes Saitenspiel – wie so oft hatte man die (zugegeben süße) Qual der Wahl.
In Hattenheim spielte an diesem Abend Avi Avital Mandoline, auf Schloss Johannisberg sang der Countertenor Andreas Scholl, in Wiesbaden musizierte der Pianist Jan Lisiecki mit dem Baltic Youth Orchestra und in Kloster Eberbach intonierte das Johann Rosenmüller Ensemble eine Marienvesper, während in Eltville der Schauspieler Günther Maria Halmer zu einer musikalischen Lesung einlud. Nicht zu vergessen: das Rheingau-Debüt des Cembalisten Kristian Bezuidenhout in der Mittelheimer Basilika mit Werken unter anderem von Bach, Händel und Couperin.
Ein solcher Abend ist ganz klar etwas für Liebhaber und Kenner: Das Cembalo hat nicht die klanglichen Möglichkeiten einer Orgel und auch die dynamische Kraft eines Klaviers oder Konzertflügels geht ihm ab. Doch wie sagte einst der amerikanische Präsident Theodore Roosevelt: „Wer stark ist, kann sich erlauben, leise zu sprechen.“ Und diese Stärke zog das Konzert in diesem Kleinod romanischer Kirchenbaukunst, dem ältesten Gotteshaus im Rheingau, vor allem aus einer äußerst gefälligen Symbiose: der Harmonie von Werk und Geschick des Interpreten Kristian Bezuidenhout. Für ihn stand ausschließlich die Kunstfertigkeit der Komposition im Mittelpunkt, so dass der Begriff Solo-Rezital dabei eine sympathische Erweiterung erfuhr: Es ging um das Cembalo und seine Musik.
Im ersten Teil des Abends widmete sich Bezuidenhout mit Johann Kasper Kerll, Louis Couperin und Johann Jakob Froberger Meistern des Frühbarock, um über die Brillanz Georg Friedrich Händels zur Stränge Johann Sebastian Bachs zu finden. Die kunstvollen Modulationen in Kerlls g-moll-Toccata spielte Bezuidenhout genauso wie die verzierungsreiche Polyphonie der d-moll-Passacaglia mit einem spannenden Widerspruch: Man hörte und spürte kein künstliches Pathos, aber echte Leidenschaft, die Respekt vor der Komposition ausdrückt. Und fast wollte man wehmütig anmerken: „So etwas wird heute gar nicht mehr hergestellt.“
Couperins Courante in e-moll kam galant tänzerisch daher, die folgende Sarabande introvertiert – Bezuidenhout pflegt einen schlichten Ton, der die werkimmanente Dramatik lieber durch kleinste Tempiwechsel beschreibt als die Musik technisch zu verstärken. Trotzdem ist das Spiel des Künstlers virtuos, sein edler Anschlag jedem einzelnen Werk angemessen. Bei der aus Partien von Händels Suiten Nr. 3 und 11 (HWV 428 und 427) sowie der Aria con variationi (HWV 428) zusammengestellten Satzfolge bewies Bezuidenhout größtes Einfühlungsvermögen in die Brillanz des Komponisten und führte den Zuhörer mit sicherer Hand durch dieses „Labyrinth der Töne“.
Der Höhepunkt aber war Bezuidenhouts Bach, denn hier spielte er nicht nur dessen d-moll-Toccata (BWV 913), sondern auch die vom Cembalisten Lars Ulrik Mortensen für sein Instrument bearbeitete d-moll-Partita für Solo-Violine (BWV 1004): Beim Genuss dieser Musik – und es war ein hoher! – spürte man eine seltsam befremdliche Vertrautheit, denn zwischen der einzelnen Stimme und der Vielstimmigkeit des Tasteninstruments besteht ja doch ein himmelhoher Unterschied. Mortensens Adaption ist jedoch mehr als „in stylo“ – er koloriert die Melodie, was Bezuidenhout meisterhaft und mit fast schon orchestraler Geste aufnahm: Die Ciaccona war schlicht ein Traum! Nach der Noblesse des „englischen Italieners aus Deutschland“ Händel ergab sich der Künstler ganz dem faszinierenden Ernst Bachs – ehrfurchtsvoll, aber entspannt. An diesem Abend hatte man sich für das „richtige“ Konzert entschieden.