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Klänge nicht von dieser Welt

KIEDRICH (23. Juli 2015). Für den Titel des Konzerts „Venezianische Pracht“ ist das Podium in der Basilika von Kloster Eberbach auffallend klein besetzt. Das Programm verspricht allerdings auch keine raumfüllenden und mächtigen „cori spezzati“ eines Giovanni Gabrieli oder Claudio Monteverdi; zu hören sind Werke von Antonio Vivaldi sowie André Campra.

Und die erste Überraschung, die Chor und Orchester Le Concert Spirituel unter der Leitung des grandiosen Hervé Niquet für ihr Auditorium bereithalten, ist die Besetzung: Die vokalen Register sind ausschließlich mit Frauen besetzt!

Damit bekommt die Aufführung einen historischen Goût, denn Vivaldi legte seine Chormusik zwar wie für einen Knabenchor mit Männerstimmen an, verfügte seinerzeit als Musiklehrer des Ospedale della Pietà „nur“ über Mädchen. Da die „Tenöre“ jedoch ohnehin einen großen Tonumfang zu singen haben und die oktavierten „Bässe“ instrumental verdoppelt werden, fehlen die Männerstimmen an diesem Abend nicht. Im Gegenteil: Die versprochene „Venezianische Pracht“ braucht heute keine Pauken und Trompeten – statt Masse gibt es eine Klasse, die mit faszinierender Transparenz und Intonationssicherheit sowie ansteckender Frische vor allem auf das Musikantische setzt.

Campras „Missa ad majorem Dei gloriam“ und vor allem Vivaldis Psalmvertonungen – „Laetatus sum“ (RV 607), „In exitu Israel“ (RV 604) sowie „Lauda Jerusalem“ (RV 609) – samt dem g-moll-Magnificat (RV 610) sind klangvolle Beweise dafür, dass die heute als „ernste Musik“ verehrten Werke seinerzeit vor allem auch gefallen sollten – und durften. Vivaldis Psalmen sind tänzerisch und hochdramatisch, was Orchester und Chor des Concert Spirituel verständig umsetzen. Obschon die gesungenen Texte lateinisch sind, meint man, sie allein durch die Musik zu verstehen.

Hervé Niquet ist in dieser Musik mehr als beheimatet und mit delikatem Schwung reißt er sie aus der barocken Vergangenheit ins Hier und Jetzt. Mal dicht geführt, mal im großen Klangbogen, mal halsbrecherisch rasch, mal mit introvertierter Geste und stets hochvirtuos liefert er mit dem exquisit musizierenden Orchester aus Streichern, Lauten und Orgel sowie dem zwölfstimmigen Frauenchor mit seinen hochkultivierten Stimmen eine respektvolle Interpretation dieser Alten Musik ab.

Und mehr als einmal hat das Referenzcharakter, was vor allem für das D-Dur-Gloria (RV 589) gilt: Diese Musik gelingt so festlich und sphärisch, dass man für den einen ungewollten Schweller im „Qui tollis“ geradezu dankbar ist, weil man sonst meinen könnte, hier musizierten nicht Menschen aus Fleisch und Blut, sondern ätherische Lichtwesen. Das innige „Et in terra pax“ treibt einem schier die Tränen in die Augen und permanent fühlt man sich durch diesen sahnigen Klang seltsam entrückt: Die Zuhörer erleben einen Moment höchster Vollkommenheit und dürfen Klänge hören, die nicht von dieser Welt scheinen – reich beschenkt mit „Venezianischer Pracht“.

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