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Tour de force

WIESBADEN (31. August 2017). Das große Finale mit Edward Elgars „Dream of Gerontius“ hatte er an diesem Abend noch vor sich, der britische Philharmonia Chorus: das Abschlusskonzert des Rheingau Musik Festivals unter Paul McCreesh. Zuvor jedoch gestaltete er (dirigiert von seinem eigentlichen Künstlerischen Leiter Stefan Bevier) in der Wiesbadener Marktkirche ein Programm mit Werken der englischen Spätromantik.

Der Ort könnte nicht passender sein, denn hat das zwischen 1852 und 1862 erbaute Gotteshaus mit seiner roten Backsteinfassade nicht irgendwie etwas Britisches? Viele Besucher in den Kirchenbänken, aber auch viele Sängerinnen und Sänger auf dem Podium: Der Philharmonia Chorus zählt an die hundert Stimmen und ist, was die Altersstruktur betrifft, gut durchmischt. Was ja nicht unbedingt von Nachteil sein muss: Setzt man hierzulande eher auf perfekte Intonation und genaue Homogenität, geht es bei britischen Chören nicht zuletzt um die innig empfundene und wiedergegebene Musik.

Das ist auch beim Philharmonia Chorus so. Im Programmheft und auf der Homepage bezeichnet man sich als einen von Europas sinfonischen Spitzenchören. Geführt wird das Ensemble seit sieben Jahren von Stefan Bevier, der bereits seit 1999 mit ihm zusammengearbeitet hat. Eigentlich sollte in dieser Zeit eine enge Bindung zwischen dem Klangkörper und seinem Leiter entstanden sein. Davon ist an diesem Abend jedoch nichts zu spüren: Die mit Abstand schlechteste künstlerische Leistung des Konzerts liefert der Dirigent selbst.

Das Programm bietet also Klangbeispiele der englische Spätromantik, jener Epoche der englischen Musikgeschichte, die sich nach langem Schweigen sozusagen an die Glanzzeit des Barock anschloss – dazwischen passierte auf der Insel kompositorisch nämlich so gut wie gar nichts. Dann aber traten im 19. Jahrhundert Tonsetzer wie Edward Elgar, Hubert Parry, Charles Villiers Stanford, Samuel Sebastian Wesley oder Ralph Vaughan Williams auf den Plan und schufen wunderbare Chorwerke. Oft orgelbegleitet (an diesem Abend von Marktkirchenkantor Thomas J. Frank) sprechen sie aufgrund klarer und einfacher Satzweise unmittelbar an, so dass man hier im Klang schwelgen kann.

Das tut man fraglos auch beim Konzert in der Wiesbadener Marktkirche und beschreibt mit Kraft die weiten Melodiebögen. Aber da ist eben auch Stefan Bevier, den man dank eines Platzes weit vorne beim (sitzenden) Dirigieren beobachten kann. Und schnell wünscht man sich, nicht hingeschaut zu haben: Der Chorleiter agiert mit einer Aura der Aggressivität, stets zieren Zornesfalten sein Antlitz und selbst (wunderbar gestaltete!) Pianopassagen können ihm kein entspannt genießendes Lächeln entlocken.

Dirigieren scheint für diesen Mann vor allem eines zu sein: ein energiegeladener Kraftakt. Traurig nur, dass er diese Spannung nicht in Klang umsetzt, sondern sie 1:1 an seinen Chor weitergibt. Denn so macht auch dieser viel weniger Musik, als er könnte, sondern steigert sich derart in Forte-Passagen hinein, dass die besetzungstechnisch ohnehin fragile Homogenität des Chores (Wo bitte ist der Tenor?) bald implodiert, der Sopran im höchsten Diskant das Gleichwicht verliert und intonatorisch abrutscht. Das Dirigat von Stefan Bevier ist letztendlich kein Gestalten, sondern ein einziges Forcieren. Und das kostet nicht nur ihn Kraft, sondern auch den Zuhörer.

Zumal der Mann dem Publikum noch etwas anderes zumutet: Sein ständiges, lautes Schnaufen klingt, als würde es irgendwo mächtig ziehen und der Wind durch die Ritzen pfeifen. Diese störende Attitüde geht einem rasch mehr als auf die Nerven – vor allem, weil Stefan Bevier dadurch auch die in kleiner Besetzung traumhaft schön gesungenen Werke „The Shower“ von Elgar und „The Blue Bird“ von Stanford konterkariert. Das Gekeuche hört man übrigens auch noch, als man sich (wie andere Leidensgenossen aus der Reihe vor einem) im zweiten Konzertteil nach ganz hinten an den Rand verzieht. Da heißt es bei einem selbst dann erst mal: Tief Luft holen…

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