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Der Walking Bass bei Bach

JOHANNISBERG (27. August 2017). Barock und Blues, Klassik und Jazz – einer der ersten, die diese vermeintlichen Widersprüche auflöste, indem er beide Stile in einer neuen, musikalischen Sprache verband, war George Gershwin; später ortete dann der großartige Jaques Loussier den Jazz in Bachs Präludien und Fugen (und bei zahlreichen anderen Komponisten). Dem inzwischen leider nicht mehr auftretenden Franzosen folgten glücklicherweise viele andere Künstler, von denen zwei jetzt beim Rheingau Musik Festival zu hören waren.

„Baroque Blues“ heißt das Programm von Eckart Runge (Violoncello) und Jacques Ammon (Klavier), das die Künstler im ausverkauften Fürst-von-Metternich-Saal auf Schloss Johannisberg spielen: Auf dem Programm stehen unter anderem Johann Sebastian Bach, Georg Friedrich Händel und Antonio Vivaldi als Repräsentanten des Barock sowie Lucio Franco Amanti, Chick Corea, Miles Davis oder Astor Piazzolla als Vertreter des Jazz in all seinen Facetten.

Wohlgemerkt: Nicht „auf der einen“ und „auf der anderen Seite“, sondern gleichberechtigt wie die Stimmführung in der Kontrapunktik. Denn vieles, was der eine hatte, verwendet auch der andere. Das ist die Quintessenz der ansprechend lockeren Moderation Runges. Aus der Barockoper „La divisione del mundo“ von Giovanni Legrenzi hält ein Stück her, um den Grundbass aufzuzeigen, der im Jazz als „Walking Bass“ weiterlebt.

Das Programm des Abends verbindet immer ein Werk der Alten Musik mit Klängen aus der „Neuen Welt“, die (wie im Fall von Nikolai Kapustin) gerne auch mal Richtung Moskau liegt. Bachs g-Moll-Sonate für Gambe und Cembalo beispielswiese steht jenem Russen und Heitor Villa-Lobos gegenüber, Händels Larghetto aus der g-Moll-Violinsonate Gershwins „It Ain’t Necessarily So“ oder Christoph Willibald Glucks Ballett aus „Orpheus und Euridike“ dem Stück „Made in France“ des Gitarrenvirtuosen Biréli Lagrène.

Das ist alles fein zusammengestellt, keine Frage. Und es ist auch ein unbestrittener Hörgenuss. Allein der Barock ist nun mal nicht die musikalische Muttersprache Eckart Runges, Gründer und Cellist des Artemis Quartetts. Sein Stilmittel der Wahl ist hier ein ständiges Vibrato, doch ein derart romantisierter Bach mag nach vielem klingen (und das gar nicht mal schlecht) – aber eben leider nicht nach Bach.

Doch zur Ehrenrettung sei gesagt: Runges Spiel hat abseits jener Epoche eine unglaublich berauschende Klangvielfalt. Und im Jazz? Da ist der zuhause, da führt er die eben noch vermissten Phrasierungen mit Verve aus und entlockt seinem Instrument impulsive Töne, die mit dem pointierten Spiel seines Partners am Klavier einfach großartig klingen.

Überhaupt die Kommunikation zwischen den beiden: Vielerorts kann man in der Pause Gesprächsfetzen auffangen, die jenes unsichtbare, aber spür- und vor allem hörbare Band zwischen Runge und Ammon loben. Wenn sie einen Zwischenapplaus annehmen, sieht man ihnen nicht nur die Freude darüber an, sondern auch jene, ihrem Publikum eine solche gemacht zu haben.

Und das gelingt natürlich doch, selbst einmal mit Bach: Nach dem introvertierten „Milonga del Ángel“ von Astor Piazzolla, der sich nicht nur als Jugendlicher (verbotenerweise) in den Jazz-Kellern New Yorks tummelte, sondern auch den Thomaskantor tief verehrte, erklingt ganz schlicht der Choral „Ich ruf‘ zu Dir, Herr Jesu Christ“ (BWV 639), bei dem einen ist, als würde man durch den klaren, eindringlichen Celloton in eine weite Ferne blicken.

Beide Künstler harmonieren perfekt und pflegen eine unglaublich pikante Piano-Kultur: Ammon flitzt über die Tasten, lässt barocke Klänge grooven und zaubert mit zart angeschlagenen Akkorden wundervolle Klangbilder, während Runge sein Cello hochvirtuos streicht, mal in einen tenoralen Schlagbass verwandelt oder sich an Stephane Grappelli erinnernd in die Höhe schwingt. Einfach nur cool!

Wer einen akustischen wie optischen Eindruck von der Arbeit dieses Duos bekommen möchte, dem sei folgender Link empfohlen: https://www.youtube.com/watch?v=XoWrORjIlBM.

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