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Sechs Richtige!

BUDENHEIM (9. August 2018). Obwohl die (durchaus wichtigen!) Sponsoren des Rheingau Musik Festivals in einer Konzertbesprechung eigentlich wenig verloren haben, sei hier stellvertretend doch mal Lotto Hessen genannt, denn nach dem Konzert des A-cappella-Ensembles „Sjaella“ in St. Pankratius kommt einem ein Homonym in den Sinn: Auch ohne Tippschein hat man an diesem Abend sechs Richtige!

„Next Generation“ heißt eine Programmsparte auch des diesjährigen Festivals, in dem man junge Talente vorstellt. Dass „Sjaella“ noch hierzu zählen soll, mag angesichts der reifen Professionalität und des unglaublich hohen Niveaus, mit der und auf dem diese Sängerinnen musizieren, ein wenig verwundern; doch die Damen selbst geben sich zu Beginn ihres ersten Gastspiels bescheiden und freuen sich, in dieser Reihe renommierter Solisten und Ensembles auftreten zu dürfen. Dabei gehören sie mit zum Besten, was die Vokalszene derzeit zu bieten hat.

Viola Blache und Marie Fenske (Sopran), Franziska Eberhard und Marie Charlotte Seidel (Mezzosopran) sowie Luisa Klose und Helene Erben (Alt) haben sich im Jahr 2005 gefunden und sind zu einem Sextett gereift, das den Liebhaber vokaler Perfektion noch immer staunen lässt. Denn die Damen haben sich eine Natürlichkeit bewahrt, die jedes Konzert zu einem Erlebnis werden lässt, das weit über das Musikalische hinausreicht.

So mag man kaum glauben, dass sämtliche Lieder des Abends auswendig gesungen werden – es sind meist zeitgenössische Werke und im zweiten Teil des Konzerts notabene auch noch in diversen skandinavischen Sprachen! Auch die kleinen Choreographien haben sie alle im Kopf – allein diese intellektuelle Leistung ist einfach grandios. Denn dass der Gesang der Grazien selbst den schärfsten Kritiker verstummen lässt, ist ohnehin klar. Einzig die etwas knallige Akustik in St. Pankratius verleiht den Sopranstimmen eine leichte Dominanz, ansonsten Harmonie pur.

Der erste Teil ist der meditativere und stellt geistliche Musik vor: das „Ave Generosa“ von Ola Gjeilo (*1978) oder der Luther-Choral „Wir glauben all an einen Gott“ von Paul Heller (*1991). Da es in der Alten Musik kaum Literatur ausschließlich für Frauenstimmen gibt, lernt man mit „Sjaella“ auch stets interessante Neue Musik kennen: Wie das „Da pace Domine“, das Gregor Meyer (*1979) mit der „Litany of Coventry“ kombiniert hat.

Hierfür wählt das Ensemble eine spannende Aufstellung und postiert vier Sängerinnen in der Mitte sowie zwei „Beterinnen“ zum Publikum hin- und abgewandt (Vergangenheit und Gegenwart?): „Vater vergib“, heißt es vielfach in den täglich zur Mittagszeit in Coventry Cathedral in Andenken an deren Zerstörung im Zweiten Weltkrieg gebeteten Versen – inklusive der Zeile „unsere mangelnde Teilnahme an der Not der Gefangenen, Heimatlosen und Flüchtlinge“. So eindringlich, wie „Sjaella“ diese Musik intoniert, geht es einem tief unter die Haut und rührt das Herz.

Aber auch die attraktiven Bearbeitungen Alter Musik haben ihren Reiz. Nach John Dowlands „Come away, come sweet love“ singen die Damen das ebenfalls von Susanne Blache arrangierte „Music for a while“ von Henry Purcell – diesmal in zwei Gruppen: Die blutvollen Alti stimmen eine Passacaglia an und erinnern an ein Gamben-Consort, während die drei Oberstimmen darüber in perfektem Englisch die Verse John Drydens singen.

Gerade die Sprache stellt auch im zweiten Konzertteil höchste Ansprüche: Für die Volkslieder aus Dänemark, Finnland, Schweden, Norwegen und Island hat sich „Sjaella“ die Texte von Muttersprachlern vortragen lassen und dabei so sehr verinnerlicht, dass sie diese nun singen, als wäre es ihr jeweils eigenes Idiom. Natürlich verwundert dies nicht allzu sehr angesichts der Tatsache, dass im Herbst eine CD mit ebendiesen Liedern erscheinen wird; doch es dokumentiert, wie tief „Sjaella“ in die Musik eintaucht und zur eigenen macht.

Glasklarer Klang im Pianissimo, tänzerisch-madrigaleske Leichtigkeit, elegante Transparenz, die Größe jeder einzelnen Stimme und vor allem die sichtbare Freude am Musizieren machen die Qualität von „Sjaella“ aus. Bei anderen Kollegen aus der Profiliga des A-cappella-Gesangs überwiegt oft eine zuweilen an Sterilität grenzende Perfektion – hier lebt die Musik mit jedem Ton: „Sjaella“ heißt übersetzt Seele – wohl wahr.

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