Wunderbar geborgen
EIBINGEN (4. Juli 2018). Wie klingen wohl Engel? Mit „Harpffen und mit Cymbal schön“, wie es im Choral der Bach-Kantate 140 heißt? Oder doch eher so wie die Stimmen von „Voces8“, die anfangs wie aus dem optischen Abseits in das voll besetzte Kirchenschiff der Abteikirche St. Hildegard fließen? Man fühlt sich von diesem weichen, zarten Klang, den die Gäste aus England da mit Orlando Gibbons „Drop, drop, slow tears“ anstimmen, tatsächlich zart umarmt, fast schon „von guten Mächten wunderbar geborgen“.
Das Programm, das das Oktett zusammen mit der Violinistin Rachel Podger unter das Motto „A Guardian Angel“ (zu Deutsch: ein Schutzengel) gestellt hat, widmet sich musikalischen Adaptionen des Themas aus verschiedenen Epochen von Giovanni Gabrieli bis zum 1993 geborenen Owain Park, der sein „Antiphon to the Angels“ als Auftragswerk der Künstler geschrieben hat. Der Ritt durch die Epochen ist zwar ansprechend, zuweilen jedoch etwas rasant und bleibt im rein instrumentalen Part mit Werken von Heinrich Ignaz Franz Biber, Nicola Matteis und Johann Sebastian Bach jedoch vollkommen (und damit ein wenig zu sehr) dem Barock verhaftet.
Podgers feinnervigem Spiel tut dies allerdings keinen Abbruch. Im Gegenteil: Ihre Adaption von Bachs a-Moll-Partita für Soloflöte gerät wunderbar einfühlsam. Zuhause legt man zur Sicherheit noch mal eine CD mit dem „Original“ ein, doch das Urteil bleibt bestehen: Podgers Interpretation mutet so kundig an, als hätte Bach diese Partita tatsächlich für Geige geschrieben. Gedanken der Forschung gehen ohnehin in diese Richtung – der Abend in Eibingen dürfte diese Argumentation befeuern: Die Sarabande ist ein Traum.
Gleiches gilt für den Gesang von „Voces8“. Vor zwei Jahren war das Ensemble bereits Gast des Festivals und sang damals in der diffizilen Akustik von St. Stephan in Mainz. Die in Eibingen ist natürlich ungleich besser geeignet für ein solches Vokalkonzert und man staunt über die Fülle des Klangs in Sergei Rachmaninows „Bogoroditse Devo“, einem Standardwerk der englischen Sänger, deren Forte einem hier durch Mark und Bein geht. Auch die bereits sattsam gehörte Motette „Denn er hat seinen Engeln“ von Felix Mendelssohn Bartholdy darf an diesem Abend natürlich nicht fehlen – und sie klingt wunderbar transparent.
Was einen nach diesem Konzert jedoch beschäftigt, ist die Frage nach der Homogenität. Die nämlich ist bei „Voces8“ durch die gegenüber den beiden Countertenören überpräsenten Soprane leicht verschoben. Doch wo steht geschrieben, dass die einzelnen Chorregister immer und überall gleich stark zu klingen haben? „Voces8“ verfügt über so grandiose Einzelstimmen, dass der faszinierende Gesamtklang alles andere zur Nebensache macht.
Die zeitgenössischen und violinbegleiteten Werke von Owain Park sowie „Domine non secundum peccata nostra“ von James MacMillan (*1959) runden das Programm ab, wobei die Wechsel zwischen den fließenden Modulationen, Clustern sowie rhythmischen Verschiebungen und den bizarren Geigensoli hier nicht bis ins letzte überzeugen wollen. Dafür bieten „O nata lux“ von Thomas Tallis, das achtstimmige „Angelus ad Pastores“ von Hieronymus Praetorius, das vierstimmige „When David Heard“ Thomas Tomkins‘ oder die vielschichtige Polyphonie im „Angelus Domini Descendit“ den Künstlern vielfach Möglichkeit zum Glänzen.
Und so, wie die acht Stimmen da unter den ebenfalls acht im unteren Teil der Apsis der Klosterkirche und im Stil der mystischen Beuroner Schule dargestellten Engelsgestalten singen, kann man sich durchaus vorstellen, dass so vielleicht tatsächlich die himmlischen Heerscharen klingen…