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Reden ist Silber, Singen ist Gold

JOHANNISBERG (6. August 2019). Endlich ist der kleine Stoffbär, der dem Intendanten des Rheingau Musik Festivals von dessen Schreibtisch aus beim Arbeiten zusieht, nicht mehr allein, denn Michael Herrmann bekam an diesem Abend einen zweiten Plüsch-Petz en miniature geschenkt. Grund für diese Rudelbildung war, dass der folgende Auftritt von Countertenor Andreas Scholl und der Pianistin Tamar Halperin ein Benefizkonzert zugunsten der Wiesbadener Bärenherz Stiftung für schwerstkranke Kinder war.

Wenn Kunst und Kommerz sich erfolgreich die Hand geben und sich darüber vor allem eine karitative Einrichtung freuen darf, dann ist das einfach eine tolle Sache. Und deswegen war der Applaus vor dem Konzert genauso herzlich und dankbar wie zum Schluss: Aus den Händen von Intendant Michael Herrmann konnte Henning Wossidlo als Vorstandsmitglied der Bärenherz Stiftung einen Scheck über 12.500 Euro entgegennehmen. Schloss Johannisberg hatte an diesem Abend auf die Miete für den ausverkauften Fürst-von-Metternich-Saal verzichtet, die Künstler auf ihr Honorar. Der Countertenor ist Bärenherz-Botschafter und dass das Konzert unter dem Festivalmotto „Courage“ stand, war kein Zufall.

Der Abend begann also mit dem guten Gefühl, dass hier auch abseits der Kunst etwas Sinnvolles getan wurde und wird. Auch musikalisch hätte man den Abend – die Jungs von „vocaldente“, die an diesem Abend das parallele Festivalkonzert in Eltville gaben, mögen diese Überzeugung verzeihen – kaum besser verbringen können, denn Andreas Scholl und seine ihm angetraute Liedpianistin gestalteten einen zauberhaften Liederabend, der noch lange nachklang und einen wundervoll in die Nacht trug.

Die beiden Künstler wanderten durch ein Programm aus Liedern von Komponisten des 20. Jahrhunderts: Aaron Copland und Ariel Frankel, Benjamin Britten und Ralph Vaughan Williams, Alban Berg, Arvo Pärt und Joseph Tawadros, dazu erklangen Klavierstücke von John Cage. Scholl, sonst kein Freund von „Stückwerk“, hatte hierfür Werke mit thematischen und klanglichen Bezügen zusammengestallt, was dem Abend etwas betont Fließendes verlieh. Man hörte Folk-Songs, Beiträge aus Bergs couplet- und moritathaften Jugendliedern aus Band I und zum Schluss ein ganz betörendes „In stiller Nacht“ von Johannes Brahms – ein Abend zum Träumen.

Der Begriff, der einem zum Dargebotenen einfällt, lautet: Zärtlichkeit. So behandelt der Sänger die Noten und genau so fühlt man sich als Zuhörer berührt. In Frankels „The Rest“ sieht man vor dem inneren Auge die Kreise, die ein Kiesel zieht, der ins Wasser eintaucht – gezeichnet durch Scholls Organ und ein ganz leicht irisierendes Vibrieren der Stimme. Der Countertenor singt mit Kraft, doch nie mit Druck, bei ihm scheint alles stets leicht und schwerelos, wodurch die Aussage letztlich ihr Gewicht erhält.

In Williams „Silent noon“ ist von „geöffneten Händen im langen, frischen Gras“ die Rede, von „Augen, die Frieden lächeln“. So, wie Scholl es von Tamar Halperin sacht untermalt singt, wird es Ereignis: Seine Stimme berührt einen ganz tief im Inneren, streichelt die Seele buchstäblich liebevoll. Die Intervalle beispielsweise bei Pärt – ganz wunderbar dessen „Vater unser“ – gelingen mit feiner Noblesse und Eleganz, der filigranen Minimalismus dieser Musik erfährt ergreifend Tiefe. Das eigentlich für Knabensopran und Klavier komponierte Stück hat der Komponist auf Anregung des Sängers vor sechs Jahren für Countertenor und Streicher arrangiert und Scholl teilt die spirituelle Bindung zu Pärts Musik an diesem Abend gerne mit seinem Publikum.

Drei Instrumentalstücke steuert Tamar Halperin bei: das schlagtechnisch akzentuierte, in der Tiefe rollende und fast schon zornige „Soliloquy“ und die „Jazz Study“ von John Cage – ein Rhythmus, bei dem man mit muss. Das ausladende „In a Landscape“ hatte der Amerikaner 1948 für Klavier oder Harfe komponiert – Halperin verwandelt das Tasten- mühelos in das Zupfinstrument, die Linien des tonalen Aquarells in zarten Farbtönen scheinen auf einer grenzenlosen Leinwand ineinanderzufließen.

Der Abend ist ein ruhiger, einzig Coplands witziges „I Bought Me a Cat“, eine Art musikalisches „Kofferpack-Spiel“ mit allerlei Nutzvieh, bietet einen humorigen Ausfallschritt. Zu Beginn wurde angemerkt, dass Andreas Scholl und Tamar Halperin dieses Programm für eine Ende des Jahres erscheinende CD aufnehmen, was beim Rezensenten eine drängende Frage aufwirft: Wo liegt eigentlich der Wunschzettel für Weihnachten?

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