Introvertiert und expressiv
JOHANNISBERG (10. Juli 2019). Zu einem Kammermusikabend besonderer Güte hatte das Rheingau Musik Festival in den Fürst-von-Metternich-Saal von Schloss Johannisberg eingeladen: Der armenische Cellist Narek Hakhnazaryan musizierte mit dem russischen Pianisten Daniil Trifonov, diesjähriger Artist in Residence, ein außergewöhnliches Programm, das spannende musikalische und biografische Bezüge aufwies: Arvo Pärts „Fratres“ sowie die Sonaten d-Moll op. 40 von Dmitri Schostakowitsch und g-Moll op. 19 von Sergei Rachmaninow.
Zusätzlich konnte man dem ersten Werk, „Fratres“, andichten, etwas mit dem Rheingau zu tun zu haben – genauer gesagt mit dem Riesling dieser Provenienz: Man erkennt ihn, schmeckt seinen herben Charakter, seine kantige Frucht unter vielen heraus. Und so geht es einem eben auch mit Pärt und seinem Tintinnabuli-Stil. Lange hatte der Komponist mit sich gerungen, um zu dieser Reduktion zu finden: Stimmen kommunizieren miteinander in den Tönen eines Dreiklangs, die an ein Glockenspiel erinnern (daher der lateinische Name).
Was vor allem in Pärts Chormusik seine besondere Wirkung entfaltet, wirkt auch im Instrumentellen. „Fratres“ gibt es in verschiedenen Bearbeitungen. Ursprünglich für Violine und Klavier komponiert bearbeitete Dietmar Schwalke das Werk 1989 für Klavier und Violoncello, das sich gleich zu Beginn in die pulsierenden Intervalle des gebrochenen Dreiklangs stürzt. Das Klavier scheint den Rahmen zu bilden, in dem sich die Töne des Cellos mal als sonores Summen, mal als hektisches Springen bewegen. Dabei schaffen es Hakhnazaryan und Trifonov, einen klanglich dreidimensionalen Raum zu erschaffen. Am Schluss scheint alles darin zu schweben.
Die beiden Künstler des Abends haben während des ganzen Abends beim Spielen kaum Augenkontakt. Höchstens, dass der Cellist mal kurz den Kopf in Richtung des Flügels dreht. Und doch besteht zwischen dem in den Notentext versunkenen und erst beim letzten Stück auch körperlich mehr agierenden Trifonov und Hakhnazaryan eine enge Verbindung. Auch ins Publikum blickt der Cellist kaum. Im Gegenteil: Wie er da sitzt und spielt scheint er der Welt und Gegenwart entrückt, im Klang verloren, selbstvergessen, fast wie weggetreten. Und trotzdem ist er über die Musik in stetem Kontakt mit dem Auditorium, das seinem in den Akkorden blutvollen Ton und seinen singend-sonoren Melodien gebannt lauscht.
Genau diese Entrücktheit ist ja auch der Kern von Schostakowitschs d-Moll-Sonate op. 40. Auch dieses tonale Gerüst erklimmen die beiden Musiker mit traumwandlerischer Sicherheit. Wundervoll liegt der Gesang des Cellos hier über der Klangfläche des Klaviers – durch die Räume zwischen den Notenzeilen leuchtet die Spätromantik. Wie eine Primaballerina scheint sich das Cello auf den Zehenspitzen des Pizzicato zu bewegen, bevor sich die Partner im Veitstanz des Allegro im zweiten Satz von einer herb-rustikalen Seite zeigen. Im Largo zeichnen die Künstler ein weiches Traumbild, das mit dynamisch immer deutlicherem Pinselstrich an Kontur gewinnt, um im Diminuendo schließlich wieder entrückt zu verblassen. Das finale Allegro erinnert pittoresk an den Beginn von Pärts „Fratres“ und stellt damit eine thematische Bindung der ersten Konzerthälfte her.
Der zweite Teil gehört Rachmaninow: „Daniil Trifonov kann nicht einfach Klavier spielen, er muss immer große Musik noch größer machen“, schrieb die Süddeutsche Zeitung über den Pianisten. Sein 2018 vorgelegtes Album mit den Klavierkonzerten 2 und 4 heißt „Destination Rachmaninov – Departure“. Und los geht es an diesem Abend auch auf Schloss Johannisberg. Wie Pärt durchlief auch der russische Komponist eine tiefe Schaffenskrise, bevor er seine g-Moll-Sonate op. 19 schrieb. Die zeitliche Nähe zum zweiten Klavierkonzert ist hier an vielen Stellen hör- und hier sogar greifbar.
Trifonov spiegelt die große Geste dieses Solos mit perlender Brillanz und fast scheint es, als höre man ein sinfonisches Klavierkonzert, doch anstelle des Orchesters wird der Pianist von den Kantilenen des Violoncellos begleitet. Vor allem das Andante ist atemberaubend: Sein Beginn erinnert an die spiegelglatte Oberfläche eines Sees am frühen Morgen, über dem noch sanft der Nebel liegt, der doch bald von der aufgehenden Sonne durchbrochen wird. Introvertiertheit und expressiver Gestus gehen an diesem Abend vertraut Hand in Hand.