Savoir vivre barock musiziert
KIEDRICH (1. Juli 2021). Ungern erinnert man sich an den beginnenden Sommer 2020, der eigentlich wie jedes Jahr einer voller Musik werden sollte: Das Festival im Rheingau wurde von Corona brutal ausgebremst und komplett abgesagt. Umso größer ist die Freude nun: Es erklingt wieder Musik in Kloster Eberbach! Und weil man sich zu diesem Anlass Pauken und Trompeten wünscht, genießt man das „Händelfest“ mit Le Concert Spirituel unter der Leitung von Hervé Niquet gleich doppelt.
Zugegeben, das ganze Drumherum ist noch immer befremdlich: Es herrscht Maskenpflicht auf dem gesamten Gelände und sogar während des Konzerts, die Stühle in der Basilika sind nur im Schachbrettmuster besetzt, ein negativer Coronatest oder Impfnachweis ist so obligat wie die vorherige Online-Registrierung. Doch das nimmt man letztendlich gerne in Kauf, wenn man dafür in den Genuss so vorzüglich gespielter Musik kommt. Und fast ist einem, als müsse man eine Träne verdrücken, dass man endlich wieder goutieren darf, was einem Corona so lange verwehrt hat. Eine wohlige Gänsehaut lässt jedenfalls nicht lange auf sich warten.
Auf dem Programm stehen Händels „Wassermusik“ und die „Feuerwerksmusik“. Ein „Werbevideo“ eines Konzertmitschnitts aus dem Wiesbadener Kurhaus, das das Rheingau Musik Festival auf seine Seite gestellt hat, machte schon zuvor Lust: Es zeigt die Interpreten des Abends in üppigster Besetzung – in Kloster Eberbach fällt diese Akustik wie Pandemie bedingt natürlich etwas kleiner aus. Aber auch 24-köpfig bringt Le Concert Spirituel die unerreichte Festlichkeit von Händels großartigen Orchesterwerken, an denen man sich wohl nie satthören wird, delikat zur Geltung.
Einzig der Verzicht aufs Cembalo geht ein wenig zu Lasten des rhythmischen Rahmens. Überhaupt ist es interessant, wie Hervé Niquet dirigiert: Er schlägt nicht, was das Orchester spielt, denn das agiert vollkommen autark. Der Dirigent ist hier eher Regisseur, was der Darbietung jedoch nicht schadet – im Gegenteil: Niquet hat im Vorfeld offenbar genau aufgezeigt, wohin die Reise gehen soll, was seine Instrumentalisten zutiefst und hörbar verinnerlicht haben. Bei Bach könnte das schwierig werden, aber hier funktioniert es.
Und Niquet ist in seinem Element: Man sollte Äußerlichkeiten außer Acht lassen, aber der reich verzierte Gehrock mit Stehkragen ist schon ein Statement – fehlt nur noch die gepuderte Perücke. Der Dirigent verzichtet auf Podest und Pult, denn er braucht das Halbrund vor den Musikern zum Schreiten: Mal steht er auf einem Bein, mal reibt er sich beherzt die Hände, dann rudert er mit Armen und Schultern, wedelt mit den Fingern, geht in die Hocke, scheint Dart-Pfeile zu werfen oder seufzt nach der ersten Suite der „Wassermusik“ genussvoll laut auf – kurz denkt man gar an Louis de Funès als Chef d’orchestre im Film „La Grande Vadrouille“! Natürlich ist das ein Stück weit Show. Aber sie ist alles andere als aufgesetzt: Da genießt einer einfach, in der Musik zu schwimmen und in Klängen zu baden. „Et voilà!“ ruft der Maestro nach der nächsten Suite ins Publikum. Und freut sich. Nein, hier hört man keine akademische Barockmusik, sondern lustvoll musiziertes Savoir vivre, das mundet wie ein gut gekühlter Sancerre!
Le Concert Spirituel macht seinem Namen alle Ehre: Streicher und Holzbläser – die Oboen spielen in der dritten Suite ebenso wunderbar Sopran- und Altblockflöte – sind aus einem Guss und musizieren mit ansteckender wie sichtbarer Spielfreude. Man hört sogar einen Serpent! Brilliant klingen die Naturtrompeten, die Hörner fallen nur in der finalen „Feuerwerksmusik“ intonatorisch ab. Überhaupt ist der „Kehraus“ die Schwachstelle: Hervé Niquet nimmt HWV 351 zu schnell und lässt die Zügel angesichts der Komplexität dieser Musik zu locker. Doch ist dies eigentlich nur eine Fußnote gegenüber der grandios gespielten „Wassermusik“ und des kantablen „Vokalstücks“, bei dem Oboistin Hélois Gaillard die Altpartie „singt“: „Ombra ma fù“, das Larghetto aus Händels „Xerxes“ mit zart schmelzendem Ton.
Am Abend heißt es für eine Wiederholung des Konzerts noch einmal da capo und auch die Besucher dieser Aufführung werden einem zustimmen: Musik von und mit Le Concert Spirituel ist schlicht ein sinnliches Erlebnis. Nicht umsonst sind die Franzosen regelmäßig Gast des Rheingau Musik Festivals. Das hat seine Akzente über die Jahre etwas von der Barockmusik wegbewegt. Doch solche erlesenen Momente beweisen: Klasse statt Masse zahlt sich letztendlich immer aus.