Musik, die bewegt
KIEDRICH (24. Juli 2022). Der letzte Ton steht noch in der Basilika von Kloster Eberbach, da erheben sich die ersten Zuhörer von ihren Sitzen. Doch wem gilt der aufbrandende Applaus am meisten? Sicherlich dem Windsbacher Knabenchor, der nach zwei Jahren Pandemie, in denen ihn die Politik über Wochen und Monate hinweg zum Stillschweigen verdammt hatte, Corona mit Verve weggesungen und dabei so gut wie nichts von seiner unglaublich hohen Qualität eingebüßt zu haben scheint. Zum anderen dem Künstlerischen Leiter: Martin Lehmann hat an diesem Abend sein vorletztes Konzert mit den Windsbachern dirigiert, denn er wechselt ab September in gleicher Funktion zum Dresdner Kreuzchor, in dem er selbst einst mitsang.
Dass Felix Mendelssohns Oratorium „Elias“ an diesem Abend zu einem spannenden Musikdrama wurde, lag natürlich auch an den anderen Interpreten: den Stuttgarter Philharmonikern, auch wenn diese den Vorstellungen des Dirigenten nicht immer zur Gänze zu folgen vermochten und natürlich an den Solisten. Sang Christina Landshamer (Sopran) ihre Partie ordentlich, aber mit einem Klacks zu viel Vibrato, verlieh Lioba Braun (Alt) ihren Rollen spürbar mehr Empathie und gefiel vor allem in den Höhen mit Stimmpräsenz. Benjamin Bruns (Tenor) sandte ein Strahlen ins Auditorium und wurde dabei nur noch von Jochen Kupfer (Bass) übertroffen: Der solistische Star des Abends gab seinem Elias eine würdevolle Autorität und sang mit knackiger Diktion. Als der Prophet im Götterwettstreit anmerkt, ob der Götze Baal vielleicht schlafe, spazieren gehe oder anderweitig verhindert sei, singt Kupfer das mit einer solchen Süffisanz, dass man fast laut auflachen möchte.
Der „Elias“ beschließt das Mendelssohn-Wochenende des Rheingau Musik Festivals, das mit dem „Paulus“ begann und an den beiden Folgetagen mit Sinfonie, Kammer- und Orgelmusik sowie einem musikalisch-literarischen Abend jenen Komponisten feierte, dessen 175. Todestag am 4. November die Musikwelt in diesem Jahr gedenkt. Der Windsbacher Knabenchor tat dies nun aber alles andere als betrübt: Die Lebendigkeit, mit dem die Jungs ihren Mendelssohn singen, ist hin- wie mitreißend und immer ist da ein auch körperliches Wogen im Chor, das zeigt, wie engagiert die Knaben- und Männerstimmen bei der Sache sind – Musik bewegt eben nicht nur die Zuhörer. Energiegeladenes Forte, das samtige Piano im Chor „Wer bis an das Ende beharrt“, die genaue Absprache: Wie gewohnt bestechen die Windsbacher durch ihre Perfektion, die jedoch nichts Kaltes und Steriles hat.
Und das ist vor allem Martin Lehmann zu verdanken: In den zehn Jahren, die er diesen Knabenchor leitete, gelang es ihm, den Klang der Windsbacher noch weiter zu entwickeln, hin zu einem wärmeren, einfühlsameren Ton. Wer das Verbessern des ohnehin kaum Steigerbaren für unmöglich hielt, wurde auch im Rheingau immer wieder von Neuem überrascht: Lehmann brachte Empathie in den Chor, der der Musik dadurch noch tiefer auf den Grund gehen konnte. Natürlich ist es schade, dass dieser Dirigent das Pult wechselt. Wobei: Einerseits steht mit dem früheren Thomaner Ludwig Böhme ein kompetenter wie engagierter Nachfolger bereits fest und andererseits darf man sich für Dresden ja auch ein bisschen freuen. Die Verantwortlichen werden beide Ensembles im Auge behalten und auch ohne Fokus Knabenchor hoffentlich bald wieder in den Rheingau einladen.