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Wie klingt eigentlich Mondlicht?

MITTELHEIM (19. Juli 2023). Die große Welt der Oper holte die Harfenistin Anneleen Lenaerts jetzt zum Rheingau Musik Festival in die intime Atmosphäre der Mittelheimer Basilika St. Aegidius: Mit ihrem Programm „Vienna Stories“, so auch der Name ihrer jüngsten CD, widmete sich die Solokünstlerin der Wiener Philharmoniker einem Genre, das ihr besonders am Herzen liegt und dem sie sich mit kunstvollen (auch eigenen) Arrangements durch ihr Instrument sehr persönlich widmete.

Das Konzert beginnt jedoch konzertant: Weil ihre angekündigte Fantasie über Georges Bizets „Carmen“ noch im Entstehen ist, spielt Lenaerts die d-Moll-Fantasie KV 397 von Wolfgang Amadeus Mozart. Das Werk entstand ursprünglich für das Klavier, doch auf der Harfe kommt der Esprit des Komponisten noch viel deutlicher zur Geltung. Durch elegante Agogik verleiht die Künstlerin der Musik zusätzlich Schwung, wenn sie kurz einhält und dann die Töne in Klangkaskaden hinabzufallen scheinen. Ihr Pianissimo entschwindet fast im Nichts, die Dynamik verspricht unbedingte Transparenz.

Opern erzählen Geschichten und nichts anderes macht Anneleen Lenaerts in den Fantasien über Themen aus Charles Gounods „Faust“ (von Albert Zabel), Richard Wagners „Meistersinger“ (von Hanuš Trneček), Giacomo Puccinis „La Bohéme“ und Pjotr Tschaikowskis „Eugen Onegin“ (von Ekaterina Walter-Kühne), die im ersten Teil erklingen. Bei „Faust“ besticht die mephistophelische Tiefe und die Zartheit Gretchens in der Höhe, wobei der Dr. Faustus in der Mittellage zwischen beiden Polen hin- und hergerissen ist. Dem Wagner nähert sich Lenaerts durch eine prickelnde Spannung von volltönender Dramatik und unglaublicher Zärtlichkeit und bei Puccini fühlt man sich vom Wogen der Klänge fortgetragen.

Die Künstlerin präsentiert ihr Instrument mit all seinen Klangfacetten: In ihrem Arrangement von Franz Liszts „Les Préludes“ S 97 lässt sie zartfüßige Ballerinen über die Saiten tanzen und im „Lied an den Mond“ aus Antonin Dvořáks Oper „Rusalka“ scheint das Licht des Trabanten in silbrigen Fäden durchs Kirchenfenster zu fallen, obwohl er zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht aufgegangen ist – aber in Lenaerts klingenden Geschichten eben doch. Sehnsucht pur hier, federleichte Melancholie im „Tanzlied des Pierrot“ aus Erich Wolfgang Korngolds „Die tote Stadt“.

Und dann beginnt – endlich – Bedřich Smetanas „Moldau“ zu plätschern: Das sicherlich bekannteste Stück hat sich Lenaerts für das Finale aufgespart und von dieser Musik geht auch oder gerade im Arrangement von Hanuš Trneček ein besonderes Fluidum aus. Mit phantasievollen Interludien entsteht mit filigranen Höhen und grollenden Tiefen ein geradezu plastisches Tongemälde. Und unter den Fingern von Anneleen Lenaerts wird auch die sinfonische Dichtung zur dramatischen Oper: Es muss ja nicht immer (wie bei Korngold oder Bizet) einer ins Gras beißen: Manchmal reicht es schon, wenn sich ein Fluss in den gebrochenen Akkorden der Harfe durchs erneut zart scheinende tonale Mondlicht mäandert.

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