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Zu viele Köche

KIEDRICH (28. Juni 2023). Das jüngste Konzert des Bachchors Mainz lässt einen ein bisschen ratlos zurück: War da in Kloster Eberbach tatsächlich jener Klangkörper zu hören, der sich unter seinem künstlerischen Leiter Ralf Otto in den vergangenen mehr als drei Jahrzehnten zu einem der deutschen Spitzenchöre entwickelte? Zum Rheingau Musik Festival blieb der Bachchor ausgerechnet mit der h-Moll-Messe seines Namenspatrons doch eher unter den selbst gesetzten Ansprüchen und lieferte eine routinierte, aber über weite Strecken nicht allzu akzentreiche Darbietung.

Doch wie sollte es auch anders sein? Otto war erneut absent. Schade für die Besucher, die gerade diesen Dirigenten mit seinem Händchen für Bach erleben wollten. Schließlich wird stets auch mit seinem Namen geworben. Kolportiert werden andauernde gesundheitliche Probleme des Künstlers, deretwegen immer wieder andere am Pult stehen. In diesem Fall waren es gleich zwei: Erik Grevenbrock-Reinhardt vertritt Otto als Assistent seit längerem und studierte das Werk mit dem Chor ein. Er sollte auch dirigieren, erkrankte jedoch ebenfalls. Vor zwei Wochen übernahm dann Gotthold Schwarz. Dass so kaum eine tragfähige Basis musikalischer Zusammenarbeit entstehen kann, muss nicht diskutiert werden.

Das Konzert in Kloster Eberbach war, wie man so schön sagt, durchwachsen. Das Bachorchester erwies sich dabei als sichere Bank und begleitete den (leider nicht in gewohnter Homogenität agierenden) Bachchor zuverlässig. Gerade bei den Arien wartete man mit exquisiten Instrumentalisten auf, die sich trefflich in den Partien der Sängerinnen und Sänger spiegelten: Siri Karoline Thornhill gefiel mit vibrierend-federndem Sopran, Anke Vondung mit grundsolidem Alt, Tenor Georg Poplutz mit agil-wendigem Tenor und Thomas E. Bauer mit muskulösem Bass. In Bestform waren auch die drei Bläser auf Naturtrompeten.

Der Löwenanteil der h-Moll-Messe wird jedoch vom Chor gesungen. Und hier lag so manches im Argen: Vor allem in den schnellen Sätzen wurde einem zuweilen angst und bange, dass hier gleich alles implodiert. Feine rhythmische Divergenzen zwischen Chor und Orchester zogen sich als störende Risse durch die Partien, in denen man sich dann doch immer wieder irgendwie zusammenraufte und gemeinsam endete. So etwas kann (und darf) sicher auch bei einem solchen Ensemble mal passieren – doch die Häufung war enervierend. Das kannte man vom Bachchor bislang nicht.

Woran lag es? Wer Gotthold Schwarz von hinten dirigieren sah, bemerkte, dass seine Bewegungen oft außerhalb des Metrums stattfanden. Zumindest klafften zwischen Schlag und Musik sichtbar Welten. Augen zu und durch also? Der Zuhörer tat sicherlich gut daran. Gewünscht hatte man sich eine klare musikalische Handschrift, erhalten dann aber doch nur die Kopie der Abschrift eines Formformulars. Und das reicht eben nicht.

Ralf Otto, der, wie man aus Sängerkreisen hört, Ende des Jahres die Chorleitung abgeben wird, hat dafür gesorgt, dass diese ständige On-Off-Beziehung zwischen Chor und Dirigent toxisch geworden ist: Auch der Bachchor braucht verlässliche Führung! Es bleibt zu hoffen, dass sich diese Lage für den traditionsreichen Klangkörper nicht letal auswirkt. Aus Binnensicht exponiert Mitwirkender war zu vernehmen, dass Gotthold Schwarz aus der Situation wohl „das Beste gemacht“ habe. Die Außensicht des Konzertbesuchers schenkt einem zumindest die linguistische Erkenntnis, dass der Superlativ des Wortes „gut“ auch mal unterhalb seines Komparativs bleiben kann.

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