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Mozart mit mächtig PS

KIEDRICH (3. August 2024). Man erlebt an diesem Abend zwei Seiten Wolfgang Amadeus Mozarts: den leichten Opernkomponisten, der seiner c-Moll-Messe in einigen Partien einen genretypischen Schwung verlieh und den grüblerischen, der über sein Requiem verstarb. KV 626 wird meist in der Fassung seines Schülers Franz Xaver Süßmayr aufgeführt – hier erklingt es bewusst als Fragment, das 1990 behutsam von Howard Chandler Robbins Landon vervollständigt wurde. Auch die Messe KV 427 ist in rekonstruierter Form zu hören, hier von Ulrich Leisinger.

Und ihr gehört der erste Teil des Konzerts, in dem die Audi Jugendchorakademie und die Akademie für Alte Musik Berlin (Akamus) gut ausbalanciert miteinander musizieren – wenn auch alles andere als „akademisch“: Die jungen Sängerinnen und Sänger, die zwischen 16 und 27 Jahre alt sind, tauchen tief in die Musik ein, was vom Orchester mit fast schon operettenhafter Leichtigkeit begleitet wird. Einige Musiker scheinen dabei besonders viel Spaß zu haben: Vor allem der weißhaarige Kontrabassist zieht die Blicke auf sich.

Aber warum auch nicht? Mozarts Messe verträgt diesen flotten Gestus, der sich in den schnelleren Sätzen seine Bahn bricht, nachdem das langsame Kyrie zu Beginn doch etwas eher Öliges hatte. Um dem entgegenzuwirken, hätte Dirigent Martin Steidler ein paar Akzente mehr setzen können – der Chor wäre ihm schlafwandlerisch gefolgt. Denn die Audi Jugendchorakademie ist (von Nataliya Lukina und Sonja Lachenmayr bestens präpariert) gut vorbereitet, spricht extrem deutlich und bleibt mit knapp 70 Stimmen doch immer homogen und transparent: Im Forte brettert sie wie ein Q8-SUV um die Ecke, im Piano schnurrt sie in einem eleganten S e-tron GT an einem vorbei. Es macht schlicht Spaß, diesem 2007 von der Audi AG ins Leben gerufenen Projektchor zuzuhören. Dass ihn eine enge Freundschaft mit Akamus verbindet, spricht für sich.

Gerade im Fall des Rheingau Musik Festivals wurde in der Vergangenheit (und zuweilen auch vom hohen Ross herab) kritisiert, dass man dort die Sponsoren bewusst bauchpinselt. Fakt aber ist: Ohne deren Engagement wäre es Sommers im Rheingau empfindlich still. Und daher ist es durchaus auch erwähnenswert, dass ein deutscher Automobilkonzern eine Jugendchorakademie finanziert und ihr auch noch seinen Namen gibt. Was bisher dabei herauskam ist im Programmheft nachzulesen und an diesem Abend im ausverkauften Kloster Eberbach zu hören: Junge Sängerinnen und Sänger, die gemeinsam beseelt und durchaus professionell große Chormusik interpretieren. Mögen derzeit in Paris fünf Ringe im Mittelpunkt stehen: Hier reichen vier.

Ein „Horch“ ist auch bei den Solisten angebracht, allen voran bei der Mezzosopranistin Olivia Vermeulen: Die niederländische Sängerin schlägt die Zuhörer als agiles Kraftpaket in ihren Bann, begeistert mit perfekt ausbalancierter Linienführung, einer geschmackvollen Binnendynamik und packenden Crescendi. Im Vergleich etwas zu viel Vibrato ist bei Carolyn Sampson (Sopran) zu hören, Kai Kluge (Tenor) überzeugt eher im Requiem und Krešimir Stražanac gefällt durch die Bank mit sattem Bass. Ihm und Vermeulen kann das Publikum vor Ort auch am 24. August bei einem Händel-Programm begegnen, worüber dann auch an dieser Stelle berichtet werden wird – die Vorfreude ist groß.

Nach einem ebenfalls in jedem Augenblick packenden Requiem, das bei Landon nach dem Offertium etwas abrupt endet, hält der Dirigent die Spannung, um das Konzert mit Mozarts „Ave verum corpus“ KV 618 attacca zu einem versöhnlichen Ende zu führen. Das Publikum zieht mit, klatscht nicht – und dann fällt mit lautem Getöse etwas im Orchester um. Wie schade! Der Moment ist zerstört und man mag nicht in der Haut der verantwortlichen Person stecken. Wohl aber in der des Chores, der einmal mehr und jetzt ganz behutsam sein Können unter Beweis stellt.

Beim verdienten Schlussapplaus fällt eine Geste des Dirigenten auf: Martin Steidler, der sich im Internet eine persönliche Präsenz spart, überlässt ihn erstmal den Musikerinnen und Musikern und vor allem seinem Chor, bevor er sich selbst beklatschen lässt. Dabei hat auch der Professor für Chordirigieren am Institut für Schulmusik der Hochschule für Musik und Theater München seine Meriten: Unter anderem gründete er das professionelle Ensemble LauschWerk, in dem vor allem aktive und ehemalige Mitglieder der Audi Jugendchorakademie singen. Auf dessen Seite erfährt man dann auch mehr über das weitere künstlerische Wirken Steidlers. Dass er seine Person im Konzert des Rheingau Musik Festivals erstmal hintanstellt, hebt ihn ganz ungewollt hervor – nur eine Geste, aber eine höchst sympathische.

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