Duell mit der Cellistin
KIEDRICH (12. Juli 2024). Hört man die originären Mandolinenkonzerte eines Giovanni Paisiello (1740-1816) oder eines Emanuele Barbella (1718-1777), wird einmal mehr klar, dass das, was wir heute als „Ernste Musik“ hören, zur Zeit ihrer Entstehung vor allem der (natürlich kunstvollen) Unterhaltung diente. Als Instrument sehr beliebt war damals die Mandoline. Auch Antonio Vivaldi hat ihr Konzerte gewidmet, die der Mandolinist Avi Avital einmal „das Alte Testament meines Instruments“ genannt.
Beim Rheingau Musik Festival blättert er mit spannenden Bearbeitungen anderer Vivaldikonzerte sozusagen im Neuen Testament: Auf dem Programm stehen unter anderem die „Vier Jahreszeiten“. Das Konzert ist Teil der diesjährigen Werkperspektiven, die sich Vivaldis Opus 8 widmen: Insgesamt acht Veranstaltungen beleuchten die Musik von verschiedenen Seiten und stellen sie neben der Originalversion in arrangierter Form, als Kinderkonzert und sogar vertanzter Form vor.
Zurück ins Kloster: Das Venice Baroque Orchestra, eines der führenden seiner Art, eröffnet ebenfalls mit Vivaldi und spielt elegant wie kantabel das g-Moll-Concerto RV 156: Akzentreich gerät das Allegro, federleicht das Largo quasi als „schwebendes Verfahren“ und im Finale nimmt das Ensemble aus acht Violinen, je zwei Violen und Celli sowie Kontrabass und Cembalo sogar schonmal das Donnern aus dem sommerlichen Jahreszeiten-Gewitter vorweg.
Auch das zweite Stück ist von Vivaldi: das berühmte Lauten-Concerto in D-Dur RV 93, wobei natürlich die Mandoline das Solo spielt. Schon hier – und in den folgenden Stücken von Paisiello und Barbella – erlebt das Publikum Avi Avital als hochvirtuosen Musiker, der keinesfalls brav auf dem Klavierhocker sitzt und nur die Saiten zupft. Nein, er spielt sie so, wie ein Rockstar seine Gitarre und es würde einen nicht wundern, wenn er wie Angus Young von AC/DC kurzbehost einbeinig über die Bühne hüpft oder wie Jimmy Hendrix einst die Mandoline hinterm Kopf spielt.
Avital entlockt seinem Instrument, dem er seit mehr als zwanzig Jahren die Zukunft gestaltet, wie es wunderbar formuliert in der Künstlerbiographie zu lesen ist, Töne, die vom filigranen Klang einer Harfe über die zart angeschlagene Laute und das Konzertante einer Gitarre bis zum Swing eines Banjo und dem volkstümlichen Ton einer Charango (jenes kleine Saiteninstrument, dessen Klangkörper in früheren Zeiten aus dem Panzer eines Gürteltiers gefertigt wurde und das man heute noch in „El-Paso“-Ensembles in Fußgängerzonen hören kann). Im arrangierten Lautenkonzert ist aber auch ein verträumtes Largo zu hören, wohingegen Avital sich im Allegro fast schon mit der famosen Cellistin Irene Liebau ein Duell liefert. Diese kuriose Szene ist im Laufe des Abends noch öfters zu hören und auch zu sehen, denn der Künstler hält die Mandoline dabei wie eine abgesägte Schrotflinte.
„Ernste Musik“ kann also höchst unterhaltsam sein – falls sie so meisterhaft lebendig von Ensembles wie dem Venice Baroque Orchestra gespielt wird. Und wenn dann noch die originellen Arrangements sattsam bekannter Werke wie den „Jahreszeiten“ von Vivaldi so vollendet musiziert werden wie von Avi Avital, hört man sie auch beim vielleicht hundertsten Mal wieder neu. Die Bearbeitung für Mandoline bietet sich dabei an, da das mit vier Doppelsaiten bespannte Instrument wie die Geige ausgehend von G in Quinten gestimmt ist. Durch die Saitendopplung kommt es immer wieder zu aparten Schwingungen. Die Mandoline ist klein, aber oho – und Avi Avital verleiht ihr eine Präsenz, die sich perfekt mit der des Orchesters mischt.
Im Largo e pianissimo sempre aus „La primavera“ hat man dank des intensiven Tremolierens das Gefühl, gleich zu Don Corleone hineingebeten zu werden, im Gewitter-Presto in „L’estate“ pfeifen die Winde in den Violinen, während Avital wie Wettergott Jupiter Blitze wirft. Das Adagio in „L’autunno“ gerät in seiner kunstvollen Zerbrechlichkeit geradezu intim und im Allegro non molto aus „L’inverno“ spürt man die knackige Kälte fast in den eigenen Knochen. Die Künstlerinnen und Künstler zaubern also eine stimmungsvolle Atmosphäre in die Basilika. Das Publikum ist hin und weg und bejubelt die zwölf scharfen Momentaufnahmen am Schluss mit rauschendem Beifall.