Baden im Klang
KIEDRICH (11. Juli 2025). „Was für eine Musik“, mag man vielleicht denken, lauscht man heute der Marienvesper von Claudio Monteverdi. Ihr über weite Strecken bereits opernhafter Ton war damals eine unerhörte Neuheit – unseren Tagen sind die über 400 Jahre alten Klänge eher fern. Wenn man sie jedoch im Konzert hört, scheint man mühelos in der Zeit zu reisen und verliert sich gerne in den prachtvollen Chorpartien und Orchesterklängen. Zumal in einer so herausragenden Aufführung wie mit dem Vocalensemble Rastatt und dem Barockorchester Les Favorites unter der Leitung von Holger Speck: Beide Ensembles gaben an diesem Abend in Kloster Eberbach ihr Debütkonzert und setzten die Tradition der dort aufgeführten Marienvespern mehr als würdevoll fort.
Der Chor hat mit knapp 30 Stimmen eine gesunde Kammerchorgröße, auch instrumental ist man nicht zu üppig, aber dafür ebenso exzellent besetzt. Mit diesen Klangkörpern beginnt Holger Speck vom ersten Ton an zu zaubern und verwandelt den rund 200 Jahre nach Entstehung von Monteverdis Marienvesper säkularisierten Sakralbau im Nu wieder in eine Kirche, in der gerade ein Gottesdienst zu Ehren der Jungfrau Maria gefeiert wird.
Im Klangideal der schlanken Besetzung bewegen sich die Stimmen in solistischen Partien, Ensemblestücken und Tuttipassagen mit bewundernswerter Leichtfüßigkeit. Keiner sticht heraus, jede und jeder ist Prima oder Primus inter pares. Welche Freude, diesen kraftvollen, reinen Stimmen zu lauschen! Durch steten Wechsel der Solostimmen wird jedes Stück zum Kleinod. Im Tutti ist die Durchhörbarkeit stets präsent, wofür auch hervorragende Diktion und über jeden Zweifel erhabene Intonation sorgen. Ohnehin passt die Marienvesper in das Gebäude, als hätte sie Monteverdi für diesen Ort komponiert.
Hören wir in einige beispielhafte Partien hinein: Das Tenorsolo (Georg Poplutz) in „Nigra sum“ ist nicht nur Gesang, sondern eindringliche Deklamation und sein „Surge et veni“ (Stehe auf und komme!) ein mitreißend weit ausgesungener Imperativ. Im folgenden „Laudate pueri“ agiert der Chor so rhythmisch, dass es fast schon perkussiv wirkt. Es sind nicht zuletzt diese kleinen Details, die das Konzert zu etwas Besonderem machen.
Ein weiterer Höhepunkt ist das „Duo Seraphim“ (Georg Poplutz, Laurin Oppermann und Joachim Holzwarth), bei dem die Solisten weit auseinander stehen und doch wie mit einem unsichtbaren Band eng verbunden sind. Die Herren Solisten mögen sich bitte nichts darauf einbilden, aber so stellt man sich singende Engel vor, die hier unfassbar zart von Orgel (Michael Behringer) und zwei Theorben (Andreas Arend und Thor-Herald Johnsen) begleitet werden. Sänger sollten, heißt es, ein Piano idealerweise so singen, dass es wie ein leises Forte klingt: Hier konnte man hören, wie das klingt. Nach einem pulsierenden „Lauda Jerusalem“ des großen Chors hört man gebannt den Sopranstimmen zu, die in der „Sonata Sopra Sancta Maria“ ihren Cantus einem Laserstrahl gleich durch das dicht gewobene Orchesterspiel schicken und die Jungfrau um Fürbitte anflehen.
Der Gipfel ist natürlich das finale Magnificat, in dem alle Besetzungen nochmals zum Zug kommen: Soli, Dialoge, Ensembles, vokale und instrumentale Echoeffekte – Monteverdi zieht hier nochmals alle Register einer imaginierten Orgel, die sich durch das Vocalensemble Rastatt und Les Favorites zu materialisieren scheint. Die Musik mutet wie ein Kaleidoskop an, so farbenfroh changierend – eine Kiste voller Edelsteine, von denen einer heller glänzt als der andere. Wie alle Stimmen in der Mitte das Wort Misericordia (Barmherzigkeit) aussingen, hat ein besonders warmes Funkeln. Nach dem rauschenden Schlusschor „Sicut erat in principio“ herrscht ergreifende Stille, bevor sich der Applaus Bahn bricht. Das erste Gastspiel dieser Künstler beim Rheingau Musik Festival findet hoffentlich bald seine Fortsetzung.