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He did it his way

WIESBADEN (26. August 2025). „Wahrscheinlich können Sie sich gar nicht vorstellen, was das heute Abend für mich bedeutet“, sagt Thomas Quasthoff gleich zu Beginn seines Konzerts im restlos ausverkauften Friedrich-von-Thiersch-Saal des Kurhauses: Für den Sänger geht der Wunsch in Erfüllung, mal mit einem richtig großen Sinfonieorchester und Swing-Combo aufzutreten, um seine Passion des Jazz-Gesangs auszuleben. Mit seinem Frank-Sinatra-Programm war er mit den Wiener Sinfonikern im Juni beim Wiener Prater-Picknick bereits open air zu hören, doch das Ganze als Saalkonzert feierte beim Rheingau Musik Festival jetzt Premiere.

Und was für eine: Quasthoff ist glänzend aufgelegt. Auch die Neue Philharmonie Frankfurt, die mit einem rasanten Gershwin-Medley startet und mit dem „ganz großen Besteck“ präsent ist, überzeugt auf ganzer Linie. Dazu hat der Bassbariton mit Simon Oslender (Klavier), Wolfgang Meyer (Gitarre), Olaf Casimir (Bass) und Guido Jöris (Schlagzeug) weitere erlesene Musiker um sich geschart. Drei CDs hat er bereits mit Jazz aufgenommen, seitdem er seine klassische Karriere 2012 beendet hatte. Weiterhin lehrt er als Gesangsprofessor an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ in Berlin und tritt als Sprecher und Rezitator, mit Lesungen und eben unheimlich gerne als Jazz-Sänger auf.

Das merkt man an diesem Abend: Quasthoff ist vollkommen frei und singt ohne jeden Druck der künstlerischen Perfektion (die dadurch nur umso leichtfüßiger gelingt). Statt lupenreiner Intonation ist jetzt das Spiel mit der Stimme gefragt, die Qualitäten des gefeierten Liedsängers bringt Quasthoff dennoch zum Beispiel mit pointierter Diktion ein, doch auch das Oxford-English braucht es jetzt ja nicht mehr. Und dann ist es natürlich seine unglaublich große Stimme, mit der er sich an diesem Abend vor allem dem großen Frank Sinatra widmet.

Da dieser am 14. Mai 1998 83-jährig verstarb, ist sein Spitzname „The Voice“ ja wieder frei und es gibt wohl keinen würdigeren Titelerben als Thomas Quasthoff. Dabei vermeidet er es, den Sänger, Schauspieler und Entertainer zu imitieren oder gar zu kopieren, sondern singt bewusst tief, was er auch gleich begründet: „Weil ich es kann.“ Die Stimme des Sängers klingt sowohl im Bass- als auch im Baritonbereich warm und volltönend. Dass sie durch ein Mikrofon verstärkt ist, macht dieses Erlebnis nur umso intensiver: Wenn da ein lustvoll ausgesungener Ton im Raum steht, meint man, ihn fast mit Händen greifen zu können.

Und so hört man Sinatras große und kleinere Hits unfassbar eindringlich interpretiert, deren Auswahl auch etwas über den Interpreten aussagt. Er singt „My Way“ und „Smile“ oder „It Was a Very Good Year“ und alles scheint ihn und sein Wesen widerzuspiegeln: eine humorvolle Offenheit, mit der er Grenzen überspringt. Genau das und noch viel mehr wird Intendant Michael Herrmann vor der allerletzten umjubelten Zugabe loben, denn an diesem Abend erhält Quasthoff den diesjährigen Rheingau Musik Preis. Selbst das kündigt er mit betont brüchiger Stimme an: Er werde ja nachher noch für sein Lebenswerk geehrt. Dem Rheingau Musik Festival ist er seit der zweiten Saison im Jahr 1989 treu.

Verdient hat Quasthoff die Auszeichnung allemal – wie auch den begeisterten Applaus, der stets nach den Liedern aufbrandet. Mit jedem Song erzählt er Geschichten und malt Bilder: in „Summerwind“ genauso wie in „One For My Baby“, in dem man ihn vor dem geistigen Auge an einer New Yorker Bar herumhängen sieht – an Intensität steht das einer früheren Schubertschen „Winterreise“ in nichts nach. Natürlich erklingt auch Sinatras Hommage an den Big Apple. Immer besticht Quasthoffs Organ durch edle Brillanz, in der Höhe fast noch ein Quäntchen mehr als in der Tiefe. Gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen bringt er den Saal zum Vibrieren, so dass es eine sichtlich betagte Zuhörerin schräg vor einem kaum auf dem Stuhl hält, so begeistert wippt und schnippt sie mit.

Aber genau so soll es ja sein: Kaum setzt Quasthoff ein, springt der Funke über und setzt das Publikum sofort in Brand. Man hängt an den Lippen dieses charismatischen Künstlers, der bei „Nice and easy“ mit den Worten „Ich hab’s verkackt!“ prompt abbricht: Er leide an einer Mathelegasthenie und könne nicht weiter als 4 zählen, so dass er seinen Einsatz auf der 8 prompt verpasst. Dankenswerterweise neigt sich Dirigent Jens Troester beim zweiten Versuch besonders weit herunter, so dass es diesmal klappt. Es sind auch solche Momente, die ein Konzert mit Thomas Quasthoff zu etwas ganz Besonderem machen. Zusammen mit der Musik ist der Moment dann so bezaubernd, wie er es im nur von Pianist Oslender begleiteten Stevie-Wonder-Song „If It’s Magic“ besingt: „It will leave no heart undone
for there′s enough for everyone.“

Das Einzige, das einem dieses wunderbare Konzert dann doch ein wenig verleiden konnte, war die rege Handynutzung im Verlauf des Abends. Wenn Kamerakinder im Seniorenalter rege Fotos oder gar Filme machen, dann zeugt das nicht nur von unglaublich großer Rücksichtslosigkeit gegenüber Konzertbesuchern neben und hinter ihnen, sondern scheint auch zu zeigen, wie desolat das deutsche Bildungssystem ist: Denn lesen können die Herrschaften im edlen Zwirn und mit teuren Karten offenbar nur bedingt, sonst hätten sie den Hinweis auf Seite 2 des Programmhefts wahrgenommen und vielleicht ja berücksichtigt, laut dem „Foto-, Ton- und Filmaufnahmen aus urheberrechtlichen Gründen verboten sind und die Interpreten und das Publikum stören“. Vielleicht sollte man diesen Hinweis künftig doch vor jedem Konzert den begrüßenden Worten hinzufügen: Manche Gäste müssen zu ihrem Glück eben gezwungen werden – und zu dem anderer.

Die Begründung des Rheingau Musik Festivals zur Verleihung des Rheingau Musik Preises an Thomas Quasthoff im Wortlaut:
„Der Rheingau Musik Preis 2025 wird an Kammersänger Prof. Thomas Quasthoff verliehen, einer herausragenden Künstlerpersönlichkeit unserer Zeit. Seit nunmehr fünf Jahrzehnten prägt er mit seiner einzigartigen Bassbariton-Stimme die internationale Musikwelt und hat mit seiner unvergleichlichen Ausdruckskraft und stilistischen Vielseitigkeit Maßstäbe gesetzt. Sein unermüdliches Engagement für das Lied und seine Förderung junger Musikerinnen und Musiker haben das Genre nachhaltig bereichert und Generationen von Künstlerinnen und Künstlern inspiriert. Nach dem Beenden seiner klassischen Gesangskarriere hat Thomas Quasthoff eindrucksvoll bewiesen, dass für ihn als Sängerpersönlichkeit keine Genregrenzen existieren. Mit seiner Liebe zum Jazz hat er ein neues Kapitel aufgeschlagen und begeistert mit seiner warmen Stimme, charismatischen Bühnenpräsenz und seinem mitreißenden Humor weiterhin sein Publikum. Neben seinem künstlerischen Wirken beeindruckt Thomas Quasthoff durch seine positive Lebenseinstellung und seine Menschlichkeit. Er ist ein Künstler, der nicht nur mit seiner Stimme, sondern auch mit seiner Persönlichkeit berührt und bewegt. Mit höchster Anerkennung für sein Lebenswerk und seine fortwährende künstlerische Strahlkraft verleiht das Rheingau Musik Festival ihm den Rheingau Musik Preis 2025.“

Der Rheingau Musik Preis ist mit 10.000 Euro dotiert und wurde 2025 zum 32. Mal verliehen. Das Preisgeld wird vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Forschung, Kunst und Kultur gestellt.

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