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In allen Epochen und Stilen zuhause

KIEDRICH (18. Juli 2025). Wenn man ein Konzert mit dem Windsbacher Knabenchor hört, staunt man. Und zwar weniger über den perfekten Klang, denn für den steht das Ensemble schließlich seit Jahrzehnten: Es ist die großartige Leistung aller – vom Dirigenten Ludwig Böhme über jeden einzelnen Sänger bis zur kleinsten Knabenstimme –, derart beseelt zu singen und dabei Werke wirklich jeder Epoche überzeugend und glaubwürdig zu interpretieren.

Wenn man die Knabenchorszene kennt, weiß man: Selbstverständlich sind volle und gut besetzte Reihen in einem solchen Ensemble keinesfalls – zumal, wenn die jungen Sänger in einem Internat leben, dessen Besuch nun mal nicht gerade billig ist. Und es ist bei Weitem keine Banalität, einen derart großen Haufen Jungs so zu disziplinieren und inspirieren, dass das Ergebnis weder gedrillt noch steril, sondern eben derart authentisch klingt. Die Windsbacher schaffen das und zählen vielleicht auch deshalb zu den Spitzenchören.

Im Rheingau Musik Festival, das den Chor seit längerer Zeit jedes Jahr begrüßt, gab es in dieser Saison mal kein großes Oratorium zu hören: Nach Felix Mendelssohn Bartholdys „Elias“ 2022, Johann Sebastian Bachs Johannespassion 2023 sowie Giacomo Puccinis „Messa di Gloria“ und Gabriel Faurés Requiem 2024 reüssierten die Windsbacher mit A-cappella-Literatur jetzt mal wieder in der Königsdisziplin. Auf dem Programm standen Werke aus fünf Jahrhunderten: von Guillaume Dufay über Heinrich Schütz, Bach und Mendelssohn Bartholdy bis zu zeitgenössischer Musik, darunter eine Auftragskomposition von Bernd Franke (*1959).

Das zu Beginn erwähnte Staunen setzt sich fort, wenn man den Jungs beim Singen zusieht: Zwar halten einzelne Sänger eine Notenmappe in der Hand, doch sind die Augen aller immer wieder bei Dirigent Ludwig Böhme, der durchaus auch mit kleinsten Gesten anzeigt, wo die musikalische Reise hingeht. Eine solche Aufmerksamkeit ist bei Kinder- und Jugendchören selten – zumal in Zeiten größter Ablenkung durch Internet, Smartphone & Co. Hochkonzentriert tauchen die Sänger in die Musik ein, wobei es doch arg stört, dass das Publikum – bei allem Verständnis für seine Begeisterung – nach jedem Stück klatscht. Das hemmt nicht nur die Dramaturgie, sondern auch die für eine solche Leistung so nötige Anspannung und es ist mehr als beachtlich, dass die Windsbacher diese immer wieder mit dem ersten Ton des Folgestücks erzeugen können. Es wäre wünschenswert (und nicht ehrenrührig), dass der Dirigent oder auch die Person, die begrüßende Worte spricht, darum bitten, erst am Ende des Konzerts oder vor der Pause zu applaudieren. Und wo wir schon mal am Meckern sind: Die eine hörbare [sic!] Intonationsschwankung im Sopran bei Bach sei nur deswegen erwähnt, weil man dadurch auch merkt, dass hier keine programmierten Roboter, sondern junge Menschen aus Fleisch und Blut singen.

Und wie sie das tun: Der Hymnus „Ave maris stella“, der perfekt ins bald 700-Jahre alte Kloster Eberbach passt, erklingt von drei Positionen aus, so dass es gar nicht auffällt, dass man maximal Dreistimmigkeit hört. Anders bei Bachs doppelchöriger Motette „Ich lasse Dich nicht“, in der Böhme leichthändig mit Dynamik und Echoeffekt jongliert. Was auffällt, ist ein aktuelles Faible des Dirigenten für langsame Tempi: Der akustische Slow-motion-Effekt in Schütz‘ „Also hat Gott die Welt geliebt“ oder Mendelssohn Bartholdys „Jauchzet dem Herrn“ mag aber auch vor allem deshalb gewöhnungsbedürftig sein, weil man diese Stücke eben schneller kennt (und schätzt). Richtig langsam zu singen ist ohnehin die größere Kunst als High-Speed-Sound.

Man hört und genießt: Giovanni Pierluigis da Palestrinas „Gloria“ aus dessen von Bach eingerichteter „Missa Ecce Sacerdos magnus“, den an einen Sonnenaufgang erinnernden Beginn von Mendelssohns „Herr Gott, Du bist unsre Zuflucht“ aus den „Sechs Sprüchen“, Bachs „entkernte“ Kantate „Aus tiefer Not schrei ich zu Dir“, aus der Eingangs- und Schlussstück erklingen. Das weckt wohlige Erinnerungen an die famose Johannespassion vor zwei Jahren: Ausgewogen im Klang, bis ins Letzte transparent, gut gesprochen und intoniert – alles (wie gewohnt) beispielhaft.

Ein weiterer Höhepunkt ist der Männerpsalm „Herr, Du erforschest mich und kennest mich“ aus den „Windsbacher Psalmen“, jenen Stücken von (wie hier) Emanuel Vogt (1925-2007) oder Helmut Duffe (1948-2016), die solitär in Konzerten dieses Chors erklingen: Die Vertonungen haben einen einfachen, eingängigen, aber keinesfalls simplen Stil. Und die Windsbacher Tenöre und Bässe intonieren diese Stücke mit einem derart klaren, gesunden Ton! Dass die großen Jungs so singen können, verdanken sie dem anspruchsvollen Training aus Probenarbeit und individuellem Gesangsunterricht auch während des Stimmbruchs, was sicherstellt, dass aus großen Knaben- auch derart wunderbare Männerstimmen werden können.

Gemeinsam gehen diese dann auch gerne mal neue Wege: Neben Philip Stopfords (*1977) „Ave Verum“ und Józef Świders (1930-2014) „Cantus gloriosus“ singen die Windsbacher die ihnen von Bernd Franke 2024 auf den Klangkörper geschriebenen vier Motetten „Im frühen Licht“ auf mystische Verse von Christian Lehnert. Dabei verteilen sich die (sogar diese Musik oft auswendig singenden) Choristen auf der ganzen Bühne und agieren teils bewusst frei – und doch als Ensemble. Franks Stücke provozieren durchaus durch klangliche Divergenz, lassen den Hörer jedoch nicht ratlos zurück, sondern streben letztendlich doch nach einer übergeordneten Harmonie. Solche Musik muss man sicherlich öfters hören, um sie richtig erfassen zu können, wofür sich der Mitschnitt durch den Festival-Medienpartner Deutschlandfunk empfiehlt (Sendetermin: 31. Juli 2025 ab 20 Uhr).

Der zeitgenössischen Chormusik stand in Kloster Eberbach mit barocken Cello-Sonaten von Antonio Vivaldi und Giovanni Benedetto Platti ein weiteres stilistisch geschmackvolles Pendant gegenüber: Janina Zhang (Violoncello), Soshi Nishimura (Violone) und Martina Fiedler (Orgel) verstanden es beispielhaft, den kontrastreichen Wechsel der Stimmungen weit über ein Schnell-langsam-Schema hinaus zu gestalten. Auch ihnen galt der enthusiastische Beifall am Schluss des Konzerts, der die Windsbacher animierte, ihr Publikum mit einem anrührenden „Der Mond ist aufgegangen“ in den Abend zu verabschieden.

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