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Bach mit britischer Noblesse

KIEDRICH (7. August 2025). Der Gedanke, den die Dramaturgin Lisa Ballhorn in ihrem Grußwort äußerte, ist tatsächlich spannend: Was würde Johann Sebastian Bach heute von einer Aufführung seiner h-Moll-Messe denken, die er ja selbst nie komplett dirigiert und damit gehört hat? Und wie hätte ihm wohl die jüngste Aufführung dieser „Composition in residence“ in Kloster Eberbach gefallen? Dankenswerterweise nimmt das Rheingau Musik Festival BWV 232 regelmäßig ins Programm und erst im vergangenen Jahr musizierten das tschechische Collegium Vocale 1704 und Collegium 1704 unter der Leitung von Václav Luks eine mustergültige Interpretation, die kühnste Erwartungen übertraf.

Nun war der von Nigel Short 2010 gegründete Tenebrae Choir, seit 2019 kontinuierlich Festivalgast und schon vier Jahre später mit dem Rheingau Musik Preis ausgezeichnet, zu Gast. Im Oktober erhält das Ensemble den diesjährigen Opus Klassik für die beste Live-Performance von Georg Friedrich Händels „Messiah“ im Wiesbadener Kurhaus – das Konzert, das ebenfalls Maßstäbe setzte, fand am 8. Dezember ebenfalls im Rahmen des Rheingau Musik Festivals statt. Klar, dass man sich hiernach auch Bachs h-Moll-Messe mit diesem Chor nicht entgehen lassen wollte. Begleitet wurde das englische Vokalensemble diesmal vom Kammerorchester Basel.

Schon mit dem ersten Ton beginnt man zu schweben: Pulsierend fließt das „Kyrie eleison“ und man kann (und will) sich diesem Sog auch gar nicht entziehen. Es singt ein vokaler Klangkörper aus 24 Sängerinnen und Sängern, doch die Chöre haben bei aller Opulenz eine solistische Anmutung: Alle Stimmen mischen sich perfekt, kein Register tönt heraus, wo es das nicht darf und soll. Die Transparenz ist absolut, jede Linie ist durchzuhören und verfolgbar. So gelingen wunderbare Partien: ein hinreißendes „Gloria“, ein überirdisch schönes „Et in terra pax“ und ein sphärisches „Qui tollis“, bei dem Chor und Orchester im Pianissimo geradezu verschmelzen.

Kein Wunder: Nigel Short versammelt im Tenebrae Choir die besten Stimmen, die auch die Arien bestreiten. Wie zu Bachs Zeiten üblich treten die Solisten aus dem Tutti hervor: Neun Stimmen gestalten die Partie. Auch wenn die sich dadurch natürlich der Vergleichbarkeit stellen, dokumentieren sie vor allem die stimmlichen Talente, aus denen sich dieser Weltklassechor zusammensetzt. Drei gefallen besonders: die Sopranistin Grace Davidson, die sich in der hinreißenden „Laudamus te“-Arie in der Solovioline von Konzertmeister Stefano Barneschi zu spiegeln scheint, Bariton Joey Edwards mit der nobel interpretierten Arie „Et in spiritum“ und schließlich Martha McLorinan, die ihr „Agnus Dei“ mit blutvoller Altstimme ergreifend fahl, doch keinesfalls farblos singt.

Chor und Orchester überzeugen vor allen in den ruhigen Sätzen durch perfektes Zusammenspiel. Dann geht der Himmel auf. Und leider auch wieder zu, wenn Short das Tempo zu sehr anzieht. Denn nicht immer sind die beiden Klangkörper dann deckungsgleich und im „Credo“, dem ersten Stück nach der Pause, rappelt es doch arg im Karton. Schon im vorangegangenen „Cum Sancto“ lässt der Dirigent Musikerinnen und Musiker flitzen. Gewiss: Der Tenebrae Choir meistert auch atemberaubende Tempi, doch läuft die Musik dabei Gefahr, auf der Strecke zu bleiben.

1987 hetzte Reinhard Goebel mit Musica Antiqua Köln durch Bachs Brandenburgische Konzerte, dass einem Hören und Sehen verging. Zugegebenermaßen goutierte man damals die Sportlichkeit des Ensembles anfangs durchaus. Doch die Feinheiten der Musik gingen unter. Was leider auch hier passierte, zumal Short alles, was etwas mehr Tempo vertrug, über einen Kamm schor: „Credo in unum Deum“, „Patrem omnipotentem“, „Et resurrexit“, „Confiteor“ und „Osanna“ wetteiferten um einen fragwürdigen Sieg, worunter auch zeitweise die Homogenität des Chores litt. Auf der anderen Seite tauchten gerade aus dieser „Raserei“ auch wieder wunderbare Inseln der Ruhe auf: Im „Et incarnatus“ kosteten Chor und Orchester die dichte Stimmführung voll aus und auch das finale „Dona nobis pacem“ blies die aufgezogenen Wolken fort und erklang sozusagen in strahlendem Himmelsblau.

Nigel Short wird seine Gründe für diese Gestaltung gehabt haben und zumindest die Begeisterung des Publikums in Kloster Eberbach gab ihm Recht. In Erinnerung bleiben ohnehin die Partien, mit denen die Künstlerinnen und Künstler sich in einer Art kontemplativer Mitte versammelten. Auch die britische Noblesse steht Bachs h-Moll-Messe gut zu Gesicht. Um weitere Gastspiele im Rheingau Musik Festival braucht sich der Tenebrae Choir sicher keine Sorgen zu machen. Und das ist auch gut so.

Das Konzert wurde vom Festival-Medienpartner Deutschlandfunk mitgeschnitten und wird zu einem späteren Zeitpunkt gesendet.

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