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Beseeltes Feilen am „Mainzer Klang“

MAINZ (7. Juni 2011). Zehn Jahre stand Dirigentin Catherine Rückwardt dem Philharmonischen Staatsorchester am Mainzer Theater vor – als Generalmusikdirektorin und seit 2006 auch als Intendantin. Nach dieser Saison verlässt sie ihre bisherige Wirkungsstätte, worüber sie im Interview spricht.

Schreibwolff: Mit welchem Gefühl blicken Sie auf die Zeit am Staatstheater zurück?

Catherine Rückwardt: Für einen Rückblick ist es eigentlich noch zu früh – wir stecken ja noch immer mitten in der laufenden Saison. Aber schon heute kann ich sagen: Es ist eine sehr spannende Zeit gewesen! Viel Arbeit, viel Freude, viele Erlebnisse – und viel gelernt.

Schreibwolff: Was haben Sie denn in Mainz gelernt?

Catherine Rückwardt: Wie es um die Macht des Zusammenseins bestellt ist. Und was uns bewegt, zusammenzukommen um gemeinsam etwas bewegen zu können. Dieses Wir-Gefühl ist ja ohnehin ein wichtiger Teil der Mainzer Kultur und speziell was die Orchester- und Ensemblekultur am Staatstheater betrifft.

Schreibwolff: Als Sie vor zehn Jahren hier anfingen, waren Sie die erste Frau am Dirigentenpult. Gab es da keine Ressentiments seitens der männlichen Musiker?

Catherine Rückwardt: Nein, denn Dirigieren ist für mich kein Männerberuf, sondern eine Selbstverständlichkeit. Meine Kinder wunderten sich früher immer, wenn ein Mann am Pult stand. Aber anstatt von Ressentiments will ich lieber davon erzählen, wie seltsam ich es fand, zu Beginn meiner Zeit einen männlichen Harfenisten im Orchester zu haben. Denn das war für mich absolut neu! Vielleicht war eine Frau am Pult für die männlichen Musiker anfangs ungewohnt, aber ich habe das nie spüren müssen.

Schreibwolff: Eine Frau am Dirigentenpult ist noch immer ein ungewohnter Anblick…

Catherine Rückwardt: Das wird wohl auch so bleiben. Dabei gibt es mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede: Wenn Sie sich die ganz, ganz großen Dirigenten anschauen, so verbinden sie immer Eigenschaften, die wir traditionell den weiblichen und männlichen Charaktere zuordnen, denn das empfindsame, unterstützende Ensemblegefühl muss ein Top-Dirigent genauso mitbringen wie das Autoritäre oder das Gefühl für hierarchische Strukturen.

Schreibwolff: Sie feilten als Dirigentin immer am speziellen „Mainzer Klang“. Wie hört sich das an?

Catherine Rückwardt: Der „Mainzer Klang“ begann als akustische Vision und lässt sich heute mit einer großen Durchhörbarkeit innerhalb der musikalischen Struktur beschreiben. Damit wollen wir uns dem, was sich die Komponisten unter Orchesterklang vorgestellt haben mögen, so nahe wie möglich annähern. Es ist auch ein spezifischer Ton, denn ein individuelles Klangprofil war mir immer schon sehr wichtig.

Schreibwolff: Was waren für Sie Höhepunkte Ihres Schaffens hier?

Catherine Rückwardt: Es gab so viele! Aber besonders schön waren immer die Konzerte für junge Leute, denn nicht nur die Kinder und Jugendlichen im Publikum waren begeistert, sondern vor allem auch die Musiker, die immer mit besonderem Elan dabei waren, wenn es darum ging, den Zauber der Musik gerade diesem Publikum zu vermitteln. Vor allem der wachsende Zuspruch für die Konzerte war eine unheimliche Bestätigung für uns – und auch für mich persönlich.

Schreibwolff: Was war das schönste Erlebnis auf der Bühne?

Catherine Rückwardt: Auch hier gab es so viele! Aber besonders fesselnd war es, wenn es in der Oper krankheitsbedingte Einspringer gab, weil dann alle noch viel mehr am gleichen Strang gezogen haben. Erst neulich ist uns das bei Eugen d’Alberts „Tiefland“ passiert. Das sind dann immer besonders spannende und erfüllende Momente, in denen immer wieder etwas Neues entsteht.

Schreibwolff: Und was gab es hier, das Sie nicht noch einmal erleben möchten?

Catherine Rückwardt: Die Orchesterstrukturreform. Sie war eindeutig das Schlimmste. Und jetzt kommen wieder schwere Zeiten auf unser Theater zu, wobei es mir unverständlich ist, dass diese Finanzdiskussion aufs Neue geführt wird. Wenn man den damaligen Ministerworten Glauben schenken kann, wurde die Orchesterstrukturreform vollzogen, um das Theater dauerhaft finanziell zu sichern – dass das jetzt alles umsonst gewesen sein soll, ist schwer zu verkraften.

Schreibwolff: Welche Pläne haben Sie für die Zukunft?

Catherine Rückwardt: Ich habe eine Menge Gastspiele für die kommenden Jahre und freue mich sehr darauf, zwischendurch auch mal etwas Luft für neue Ideen zu haben. Der Alltag im Theater ist toll und spannend und schön – aber ich merke einfach, dass man dabei auch ein bisschen müde wird. Vor allem, wenn es jetzt wieder mit der Finanzdebatte los geht. Besonders freue ich mich darauf, demnächst gemeinsam mit Martin Schläpfer ein Projekt an der Deutschen Oper am Rhein zu realisieren.

Schreibwolff: Und was wünschen Sie Ihren Mainzer Kollegen?

Catherine Rückwardt: Das Orchester gibt es ja schon 500 Jahre – und ich wünsche ihm weitere 500! Dem Mainzer Theater wünsche ich, dass sich das Bekenntnis zur Kultur in dieser Stadt so weit festigt, dass die Querelen um die Finanzen aufhören und sich alle Theaterschaffenden wieder auf das konzentrieren dürfen, was sie am besten können: die Kunst.

Das Foto machte Bettina Müller für das Mainzer Staatstheater.

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