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Der Reinfall bei Oberwesel

OBERWESEL (17. August 2024). Das Ensemble Cinquecento hat sich nicht etwa nach dem gleichnamigen Modell einer italienischen Automarke benannt: Es ist der lateinische Begriff für die Zahl 500, der hier Pate stand und (verkürzt aus millecinquecento = 1500) in der italienischen Kulturgeschichte das 16. Jahrhundert bezeichnet. Seit seiner Gründung vor 20 Jahren in Wien widmen sich Terry Wey und Achim Schulz (Altus), Tore Tom Denys (Tenor), Tim Scott Whiteley (Bariton) und Ulfried Staber (Bass) vor allem der Musik jener Epoche. Jetzt traten sie bei RheinVokal auf.

In der Liebfrauenkirche in Oberwesel sangen die fünf professionellen Sänger aus fünf europäischen Ländern nun die Lamentationes aus dem zweiten Buch der Klagelieder des Propheten Jeremias, die Giovanni Pierluigi da Palestrina um 1560 komponiert hat. Und man bestaunte zuerst mal die Perfektion, mit der Cinquecento das tat: Auch wenn die Aufstellung suboptimal war (das Ensemble hatte sich im Halbkreis positioniert, wobei sich Wey und Denys frontal gegenüberstanden), schwebten die Stimmen in nahezu perfekter Balance, die Intonation war rein, die Homogenität herausragend. Man hörte nicht nur Palestrina pur, sondern auch reines Ebenmaß – sozusagen den goldenen Schnitt in der Musik.

Die Lamentationes von Palestrina bieten mannigfaltig Gelegenheit zum musikalischen Ausdruck, was das Ensemble 2018 auch dazu animierte, das Programm auf CD aufzunehmen. Doch in Oberwesel wurde live gesungen. Und das warf die Frage auf, warum die Sänger aus dieser Musik so wenig machten? Um Cinquecentos Güte zu beurteilen, hätte eine Lectio genügt: Die sieben gesungenen dokumentierten indes gleichfalls Ebenmaß, hier aber als Eintönigkeit, die bald ermüdete – Monotonie trotz Polyphonie.

Denn Perfektion ist die eine Seite der Medaille – Gestaltung die andere: Wie Wachsfiguren standen Wey, Schulz, Staber, Whiteley und Denys vor dem Hochaltar – von Mimik oder Gestik keine Spur. Man muss aus einem Konzert beileibe keine Show machen, aber sollten die Künstler an diesem Abend Freude an ihrem Tun verspürt haben, vermochten sie dies gut zu verbergen. Keine Frage: Cinquecento kann wunderbar strahlen. Doch nach dem Konzert war dieses Licht wie ausgeknipst, die Darbietung verhallte tonlos und beeindruckte mehr als dass sie berührte.

Auch nahmen die Künstler während des Konzerts buchstäblich in keinem Augenblick Kontakt zum Publikum auf, sondern schienen nur für sich zu singen. Diese Entrücktheit isolierte die Zuhörer, wodurch das Überspringen eines Funkens zusätzlich im Keim erstickt wurde. Ironischerweise schloss das Konzert sogar im Responsorium der Karsamstags-Lamentation mit dem Vers: „Erhebe Deine Augen ringsumher […] und lass Deinen Blick umherschweifen.“ Beim Schlussapplaus war es dafür allerdings zu spät.

Oder wollten die Sänger ganz hinter der Musik zurücktreten? Dann hätten sie auch CDs verkaufen können, denn ein Konzert atmet doch nicht zuletzt auch durch die imaginäre Interaktion zwischen Künstler und Auditorium! Das hatte in Oberwesel hier aber das Nachsehen und erkannte: Auch rund 500 Flusskilometer hinter Schaffhausen kann man einen Reinfall erleben.

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