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Fesselndes Drama um Schuld und Sühne

MAINZ (4. Mai 2012). Es brauchte nur zwei Generationen und schon gab es den ersten Toten: Kain tötete Abel. Die Geschichte inspirierte vielfach die Kunst und auch Alessandro Scarlatti (1660-1725) vertonte den Stoff, wobei er die Geschichte in seinem Oratorium „Il primo omicidio overo Cain“ (Der erste Mord oder Kain) mit einem weiteren Charakter ausstattete: Luzifer, der Kain zum Mord, ja zur Rebellion gegen Gott anstiftet.

Diese „Story“ nun eignet sich bestens für eine szenische Darstellung, um die psychologischen Momente zu unterstreichen. Derart zur Oper erhoben hatte das Stück nun Premiere im Kleinen Haus des Mainzer Staatstheaters, wo die Regie von Tatjana Gürbaca mit der musikalischen Leitung Ralf Ottos und der Kreativität Stefan Heynes (Bühne und Kostüm) eine grandiose Liaison einging – für die exzellent agierenden Mitgliedern des Jungen Ensembles ein tolles Podium, um das spannende Drama um Schuld und Sühne zu inszenieren.

Adam (Christian Rathgeber mit hinreißend lyrischem Tenor) und Eva (bezaubernd: Sopran Saem You) sind ob des Rausschmisses aus dem Paradies frustriert und die Söhne (brillant: Sopran Radoslava Vorgic als Abel und Altus Christian Rohrbach als Kain) sollen Gott (erhaben: Altus Alin Deleanu) mit Gaben milde stimmen. Dabei reizt Streber Abel den Älteren bis aufs Blut: Als er dessen Katze als Opfer schlachtet und damit auch noch Erfolg hat, dreht der Erstgeborene durch, lässt sich von Luzifer (geradezu göttlich: Bass Richard Logiewa) anstacheln und tötet Abel. Nicht ohne Folgen: Gott straft ihn mit ewiger Heimatlosigkeit.

Trotz mancher Da capo-bedingten Längen ist das Oratorium in italienischer Sprache packend. Ständig wechselnde Streicher-Besetzungen und Continuo-Fagott sowie Cembalo, Orgel und Laute kommentieren die Handlung und abgesehen vom divergenten Tutti gelingt es Otto und den Mitgliedern des (durch Barock-Profis wie die Konzertmeisterin Swantje Hoffmann ergänzten) Staatsorchesters, die seelischen Horizonte der einzelnen Charaktere in Rezitativen und Arien abzutasten.

Noch intensiver hingegen ist das Spiel des Jungen Ensembles (zu dem sich Rohrbach als Mainzer Hochschuldozent gesellt). Mimik und Gestik sitzen perfekt und alle Stimmen eint ein einfaches, doch gewichtiges Merkmal: Man hört ihnen hingerissen zu und staunt ob der Selbstverständlichkeit, mit der sie stilsicher in ihre Rollen schlüpfen. Hier ist der Gesang eine der Sprache ebenbürtige Ausdrucksform und ein barockes Oratorium wird ganz großes Theater.

Wofür Gürbaca und Heyne immer wieder pikante Akzente setzen: Gott kommt als cordbehoster Lehrertyp daher, dem seine „Schüler“ Kopfschmerzen bereiten und Luzifer trägt ebenfalls Manchester – schließlich saß auch er mal im „Lehrerzimmer“. Eva schmeißt sich an ihren Schöpfer ran, Kain und Abel kabbeln sich. Und immer wieder blitzt die Gegenwart auf, mal ironisch als Pressemeute, die Adam für einen Kommentar zum Brudermord bedrängt oder einsichtig, dass Neid und Missgunst allein der Mensch kennt. Und als Adam und Eva erneut Kinder kriegen, weiß man doch, dass die heile Familie wieder zerbrechen wird – schließlich hat man Gott und den Teufel beide zum Essen eingeladen…

Weitere Vorstellungen am 7., 13. und 19. Juni 2012.

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