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Transparent, aber zu dünn

MAINZ (11. März 2018). Vor 60 Jahren musizierte man Bach in opulenter Truppenstärke. Eine Gegenbewegung formierte sich, als Dirigenten wie der Bachforscher Joshua Rifkin die Kantaten mit nur einem Sänger pro Stimme singen ließen. Mittlerweile bevorzugt man auch für Passionen und Oratorien eine gesunde Kammerchor-Besetzung.

Die Diskussion um den von Bach bevorzugten Personalspiegel ist indes nie ganz verstummt. Und zweifelsohne hat eine professionelle Minimalbesetzung den Vorteil unbedingter Transparenz, was eine entsprechende Aufführung der h-moll-Messe durch den Bachchor Mainz im Jahr 2011 zeigte. Doch funktioniert das tatsächlich mit jedem Werk des Thomaskantors?

Der belgische Barockspezialist Sigiswald Kuijken führte jetzt in der Seminarkirche die Johannespassion in solistischer Besetzung auf: Mit ihm musizierten 13 Instrumentalisten und acht Sänger, davon vier Solisten und vier, die die Chöre und Choräle mitsangen. Während sich das Orchester aus dem Neumeyer Consort rekrutierte, stellte BarockVokal die Singstimmen, wobei leider nicht alle das gleich hohe Niveau hatten. So war das Altregister kaum zu hören und der zu laute Tenor von Erik Reinhardt brachte die Homogenität zusätzlich ins Wanken, selbst wenn der junge Sänger seine Chorpartien blitzsauber intonierte.

Auf der anderen Seite gab Jonas Boy als juveniler Erzähler einen staunenden Evangelisten, dem man einfach gerne zuhörte. Dass seine Tenorarien etwas blasser ausfielen, war sicherlich den Anforderungen der Erarbeitung des Werkes mit Kuijken in den Tagen zuvor geschuldet. Wunderbar klar sang auch Sopranistin Cisa Tanigaki. Am meisten gefiel aber Christian Wagner, der nicht nur die Rolle des Christus als Autorität mit weichem Kern und natürlicher Würde zu gestalten wusste, sondern das „Betrachte“-Arioso mit einer ätherischen Leichtigkeit intonierte, die einen schier zu Tränen rührte. Ebenfalls durch die Bank weg authentisch war die Leistung der Instrumentalisten, allen voran das einfühlsame Continuo-Spiel von Felix Koch (Violoncello) und Markus Stein (Orgel).

Trotzdem: Derart dünn besetzt leiden Gesamtklang und Wirkung der Musik. Auch im Orchester gab es entsprechende Einbußen: So musizierte man statt mit Kontrabass nur mit einer Acht-Fuß-Violone. Und da Kuijken selbst Violine und Gambe spielte, hatte die Aufführung eben auch keine führende Hand, so dass die so wichtigen Choräle zwar klangschön, aber leider nahezu ohne Interpretation gesungen wurden. Allerdings zeigte dieses Konzert auch, wie inspirierend Bachs Passionen selbst nach bald 300 Jahren sind. Und deshalb verzeiht man es schließlich, wenn dieses Experiment nicht zur vollsten Zufriedenheit ausfiel – immer noch besser, als wenn nur am Tempo geschraubt wird.

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